Institutioneller Wandel gesellschaftlicher Kommunikation – Autorin: Adina Eggert.

“Last not least” – der vierte von insgesamt vier Essays, die sich damit auseinandersetzen, wie die Zukunft von Massenmedien und Sozialen Medien auch politisch verantwortlich gestaltet werden können. Adina Eggert nimmt sich hierfür dem institutionellen Wandel gesellschaftlicher Kommunikation an und diskutiert die “undenkbare De-Institutionalisierung der publizistischen Medien”. Ein dickes Brett, ein spannender Text – absolut lesenswert!

Die vollkommene De-Institutionalisierung der publizistischen Medien ist nicht möglich

Lange überlege ich, mit welchen ausgewählten Worten ein Essay über den Wandel von Kommunikation in der Gesellschaft wohl zu beginnen hat. Mache mir Gedanken darüber, wie ich am besten kommuniziere, was für Erwartungen und Ansprüche ich selbst an meine eigene Kommunikation stelle und welche Ansprüche der Hochschule diesen gegenüber stehen. Halte mir die legitimierten Regeln und Normen dieser Institution sowie ihre und meine Rolle in der Öffentlichkeit vor Augen, passe meine Kommunikation dementsprechend an. Nebenbei schreibe ich einer Kommilitonin innerhalb von wenigen Sekunden eine Nachricht über eine Online-Plattform, denke wenig über die Formulierung, sondern eher über den Inhalt, den ich vermitteln möchte, nach.

Eine Situation, die den Wandel, den gesellschaftliche Kommunikation seit einigen Jahren bestreitet, greifbar macht. Wenn sich die eigenen Ansprüche und Erwartungen an Kommunikation in unterschiedlichen Medien bereits auf diese Art und Weise differenzieren lassen, und wenn das Schreiben einer Online-Nachricht durch eine gewisse informelleStruktur vereinfacht wird, wie gestaltet sich unter Berücksichtigung der voranschreitenden Digitalisierung, dem Ausbautechnologischer Infrastruktur und der Neu-Institutionalisierung von Sozialen Medien die Kommunikation der gesamten Öffentlichkeit? Wie träge und schwer wirkt die Kommunikation in publizistischen Medien dagegen und was führt dazu, dass sie seit Jahren eine legitimierte und vor allem eine gesellschaftsrelevante Institutionen ist, deren De-Institutionalisierung undenkbar erscheint?

Seit jeher lebt und besteht die Gesellschaft in einem komplexen Konstrukt aus Systemen und Untersystemen, aus Ordnungen, Institutionen und Organisationen. Rollen in der Gesellschaft und verschiedene Akteure in diesem als Prozess zu verstehendem Gerüst schaffen durch Kommunikation ihre eigenen Regeln und Normen, Erwartungen an andere und ansich selbst. So gilt es auch für die bis vor einigen Jahren herrschende Medienordnung, in der sich durch das Leben dieser Regeln und Normen und das wiederkehrende Typisieren von Handlungen die publizistischen Medien als wesentliche, gesellschaftsrelevante und öffentlichkeitsbildende Institutionen gestalten konnten (vgl. Jarren 2019, S. 166). Dersoziologische Neo-Institutionalismus, der für das Verständnis des kommunikativen Wandels zunächst herangezogen undseine Auffassung und Interpretationen von Institutionen angenommen werden, beschreibt diese Institutionen als Regelsysteme. Sie strukturieren, begrenzen und ermöglichen das soziale Verhalten unserer Gesellschaft. So etabliert sich der Auftrag der publizistischen Medien durch eine fortwährende Stereotypisierung, zu einem Herstellen von allgemeiner Öffentlichkeit, in der sich – durch journalistische Beobachtung und Reflexion – die Gesellschaft selbst beobachten und anhand von kommunizierten Entscheidungsabsichten anderer eigene Entscheidungen treffen kann. (vgl. Jarren 2019, S. 164)

Wer spielt(e) die Hauptrolle in der gesellschaftlichen Kommunikation?

Die universellen, aktuellen Massenmedien wie die Zeitung, das Radio oder das Fernsehen genießen durch ihre jahrelange Etablierung und den intensiven Institutionalisierungsprozess in der Gesellschaft ein großes Vertrauen und eine hohe Reichweite, sie spielen die Hauptrolle in der öffentlichen Kommunikation (vgl. Jarren 2019, S. 164). Saxer formuliert sie auch als „komplexe institutionalisierte Systeme um organisierte Kommunikationskanäle von spezifischem Leistungsvermögen“ (Saxer 1999). Sie beanspruchen, nach Überlegungen von Kurt Imhof, vor allem Relevanz in der Herstellung von politischer Öffentlichkeit, sie nehmen öffentliche Aufgaben wahr (vgl. Jarren 2019b, S. 349). Ehringer greift weiter auf, dass diese Institution der Massenmedien sich, nach dem Neo-Institutionalismus, vor allem durch die vier Ebenen der Institutionalisierung auszeichnen, die alle die Basis einer aus Erwartungsstrukturen konstruierten Umwelt gemein hätten (vgl. Ehringer 2019, S. 55). Eine Erwartung, die sich auf der regulativen (Darstellungsformen in Medien), der normativen (Rollen oder Routinen), der kulturell-kognitiven (Beeinflussung der Wahrnehmung von Wirklichkeit durch Gattungen oder Berichterstattungsformate) und der technologischen Ebene niederschlage (vgl. Katzenbach 2020, S. 5 und Jarren 2019, S. 169).

Wir als Gesellschaft erwarten demnach also eine ganz bestimmte Berichterstattung, eine Kommunikation seitens des Anbieters, die sich an allgemeinen, normativen Regeln und Routinen, wie beispielsweise am Pressekodex oder an Staatsverträgen orientiert. Regelsysteme, die den Handlungsspielraum der Institution begrenzen. „Benimmregeln“ für Gespräche zwischen Politiker*innen und Journalist*innen sind bekannt, Auswirkungen von parteiischer Artikulation im Voraus klar. Demnach erfüllten die (publizistischen) Medien seit vielen Jahren artig die Erwartungen an ihre Kernleistung: die Bereitstellung von Themen, welche sowohl für die allgemeine Gesellschaft als auch für individuelle Lebenswelten relevant sind (vgl. Jarren 2019, S. 168).

Ein Vorabendprogramm nach Schema F, die Börse, die Tagesschau pünktlich um 20:00 Uhr, der Gong, die Eingangsmelodie. Guten Abend meine Damen und Herren, gleiche Tonalität, dieselbe Sprache, jeden Abend. Das Wetter, die Lottozahlen, im Anschluss der neue Tatort – Erwartungen erfüllt.

Die Tagesschau – gerade hier ließe sich beobachten, wie vor allem durch die politischen Debatten und Akteure, die journalistisch für das möglichst breite Publikum thematisiert werden, für Rezipient*innen dazu beitragen, Interessen der politischen Akteure sicht- und greifbar zu machen und in der eigenen Interessen- und Entscheidungsfindung zu unterstützen, welche sich wiederum auf politische Debatten auswirken können, die erneut durch Kommunikation und mediale Aufmerksamkeit in das Licht der Öffentlichkeit gerückt werden (vgl. Jarren 2019, S. 164) und nach dem Gong um 20:00 Uhr ertönen.

Dass die Mediengattungen, so unterschiedlich sie in ihren organisierten Kommunikationskanälen auch sein mögen, nebeneinander existieren können, ohne einander in ihrer Legitimation zu gefährden oder ihre bestehenden Regeln zu brechen, liege nach Jarren in der Natur der Isomorphie (vgl. Jarren 2019, S. 169). Ein Prozess, in dem sich Organisationen innerhalb eines organisatorischen Feldes aneinander orientieren und sich angleichen, da ihnen dieselbe institutionelle Erwartung entgegen gebracht werde (vgl. Ehringer 2019, S. 57). Durch das gegenseitige Ausrichten aneinander könne wiederum die Anerkennung der geltenden Regeln und Normen erhöht und die Erwartungsstrukturen gestärkt werden (vgl. Jarren 2019, S. 169). Die Ebenen der Institution greifen: Regulative Institutionen erleben Legitimation durch eine erzwungene Isomorphie, normative Institutionen durch normativen Druck und kulturell-kognitive Institutionen durch mimetische Prozesse. Auf Isomorphie folge Legitimität (vgl. Ehringer 2019, S. 63 f.).

Nach Etablierung der ersten Printmedien, ihrer Normen und Werte, ihrer stetigen wiederkehrenden Handlungen und kommunikativen Elemente, betrat der Hörfunk die Medienordnung. Ein Faktor, eine neue Wettbewerbsform im Feld der Medien, welcher nach Jarren jedoch keinen Schock auslöst, sondern, nach den Prinzipien der Isomorphie, durch eine angleichende Institutionalisierung in einer trägen Implementierung die Werte und Normen übernahm. Eine Ausrichtung der Medien und Journalist*innen aneinander sei der Kern dieser Überlebensstrategie. Gleiches geschah wenig später für das Fernsehen, das zunächst normative Formen inkrementell übernahm und in seinem späteren Verlauf die Werte und Normen durch eigene Regularien wie die duale Rundfunkordnung erweiterte. Hörfunk und Fernsehen, zunächst nur als öffentliche Medien eingeführt, später als duale Rundfunkordnung mit dem privaten Rundfunk, nahmen so unter normativem Druck Einfluss auf das Gesamtmediensystem (vgl. Jarren 2019, S. 171).

Die Medienordnung bestand, Medien und Journalismus hatten ihren Institutionalisierungsprozess durchlaufen, spielten die Hauptrolle in gesellschaftlicher Kommunikation und konstituierten, ganz im Sinne des Neo-Institutionalismus, die allgemeine Öffentlichkeit. In der Gesellschaft etabliert, von ihr geschätzt und anerkannt. Über allem, was publiziert wurde, lag der Filter der Medien und des Journalismus. Bestand doch ein erheblicher Eingriff in die Konstituierung einer Öffentlichkeit und ihrer eigenen Meinungsbildung, so wurde sie durch Regeln und Verträge wie die Presse- und Redefreiheit legitimiert. Regulierungen durch die bestehende Medienpolitik – ebenfalls eine konstituierten Institution – war gegeben und nationalstaatliche Verträge sicherten die Erwartungsstrukturen der Gesellschaft ab, eine Finanzierungsbeteiligung für Nutzer*innen war durch institutionelle Handlungen legitimiert. Eine De-Institutionalisierung der publizistischen Medien undenkbar.

Die tatsächliche Möglichkeit der De-Institutionalisierung

Bis schließlich ein neues, andersartiges Set an Normen und Leitideen einen exogenen Schock auslöste, Isomorphie verweigerte, sich nicht in das bestehende nationalstaatliche Mediensystem einreihte und einen journalistischer Anspruch an Kommunikation von Grund auf ablehnte. Nationalstaatliche Förderungen wurden nicht benötigt, institutional work wurde zu institutional entrepreneurs, private statt öffentliche Dienstleistungen wurden angeboten (vgl. Jarren 2019, S. 172).

Die Sozialen Medien, die zusammengefasst als alle „[…] Angebote auf Grundlage digital vernetzter Technologien, die es Menschen ermöglichen, Informationen aller Art zugänglich zu machen und davon ausgehend soziale Beziehungen zu knüpfen und/oder zu pflegen“ (Taddicken, Schmidt 2017, S. 8) bezeichnet werden können, konstituierten sich. Plattformen bieten in diesem Fall die Infrastruktur für die Kommunikation von Nutzer*innen, die diese sowohl veröffentlichen als auch kuratieren (vgl. Katzenbach 2020, S. 1). Das Problem für publizistische Medien: die neuen Intermediäre können mehr als sie selbst. Sie bieten, so Jarren, Orientierung und strukturelle Ordnung, jedoch auch kommunikative Macht für alle Akteure, eine flexible Organisation von Interessen und die einfache Koordination von (kommunikativen) Handlungen – völlig losgelöst von politisch-rechtlichen oder kulturellen Vorgaben und den Vermittlungsleistungen der professionellen Journalist*innen und Medien (vgl. Jarren 2019, S. 164, 172). Diese neuen Plattformen streben, so Jarren nach Imhof, nicht nach einem publizistischen Vermittlungsinteresse (vgl. Jarren 2019b, S. 349).

Private Kommunikation macht Interaktions- und Kommunikationsbeziehungen zwischen den Anbietern und Nutzer*innen Platz. Die Individualkommunikation erreicht einen neuen Grad an Freiheit (vgl. Jarren 2019, S. 175). Neu-Institutionalisierung – jedoch nicht durch Isomorphismus, sondern ausschließlich durch Kommunikation. Doch bedeutete die Institutionalisierung der neuen Plattformen automatisch die De-Institutionalisierung der bestehenden Kanäle und Ordnungen und die Ablehnung der Mechanismen des Neo- Institutionalismus?

Laut Katzenbach bedeute dies zunächst einen fundamentalen institutionellen Wandel, Kurt Imhof bestätigt dies mit seiner Annahme über einen zweiten, strukturellen Wandel der Öffentlichkeit. Festzuhalten bliebe an dieser Stelle, dass durch diesen Wandel und durch die mit den neuen Intermediären einhergehende Re-Institutionalisierung der publizistischen Medien der soziologische Neo-Institutionalismus stark kritisiert werden könne. Nach Florian (2008, S.132) wäre der Neo-Institutionalismus durch seinen Fokus auf Stabilität und Isomorphien nicht in der Lage, soziale Institutionen, ihre Entstehung, ihren Wandel und ihre Vielfalt zu begreifen. Es würde eine Sicht aus der Prozessperspektive gefordert, die Phänomene wie die angenommene unmögliche De-Institutionalisierung (beispielsweise von publizistischen Medien) ermöglichen würde (vgl. Florian 2008, S. 132). Die Praxistheorie nach Pierre Bourdieu, die durch das Aufgreifen des US-amerikanischen Neo-Institutionalismus zu einer stärkeren Betrachtung gelangt, versucht, eigenständiges, subjektives und wiederholtes Handeln der Akteur*innen der Gesellschaft (wie er es nennt: Habitus) und die Rolle von Institutionen in der sozialen Gesellschaft zu vereinen. Florian führt weiter aus: „Auf dieser methodologischen Basis lassen sich soziale Institutionen in einer doppelten Existenzweise erfassen: einerseits in ihrer gegenständlichen Objektivität als besondere Strukturformen und Mechanismen sozialer Praxis, andererseits in der subjektivierten Form einverleibter mentaler (und körperlicher) Strukturen (Dispositionen). Erst die Genese und Reproduktion der Wahrnehmungs-, Denk- und Bewertungsschemata des Habitus verleihen Institutionen die für ihre Reproduktion notwendige Legitimität der Fraglosigkeit oder motivieren den für institutionellen Wandel erforderlichen Zweifel an diesen Selbstverständlichkeiten.“ (Florian 2008b, S. 4296)

Im erweiterten Neo-Institutionellen Sinn bedürften vorliegende Rollen, Regeln und Regulierungen einer erneuten Klärung, nachdem die bestehende Ordnungen aufgrund wesentlicher normativer, regulativer und kulturell-kognitiver Unterschiede in der neuen Instanz nicht mehr anwendbar sind (vgl. Katzenbach 2020, S. 2). Neu definiert werden müssten vor allem die Rollen der Akteure, der Nutzer*innen der Sozialen Medien, und ihr soziales Handeln (vgl. Jarren 2019, S. 166), aber auch die Rolle der neuen Intermediäre und ihre allgemeinen gesellschaftlichen Erwartungen an sie (vgl. Brosda, Schulz 2020). Dort, wo die Presse durch ökonomischen Wettbewerb und der Rundfunk durch medienrechtliche Regulierungen begrenzt wird, werden diese zwei technisch getrennten Märkte im Internet erstmals zusammengeführt und lassen eine Flut an Informationen frei, die keine nationalstaatlichen Grenzen kennt (vgl. Brosda, Schulz 2020). Was erwarten wir von einer kommunikativ konstituierten Institution? Wie fließen eigene Denkmuster und habitualisierten Handlungen und Erfahrungen aus der Institution publizistischer Medien in die Konstituierung der neuen Intermediäre ein? Begreifen wir nach Legitimation der Sozialen Medien als Institution den Journalismus weiterhin als unerlässlich in der Gestaltung der Öffentlichkeit oder kann die neue Institution mit ihren erweiterten Handlungsspielräumen die traditionelle Rolle des Journalismus ersetzen? Und wie kann, als Pendant zu journalistischen Selektionsverfahren in Massenmedien, die Rolle der publizistischen Medien in der neuen Institution der Sozialen Medien nach Öffentlichkeit ringen?

Von institutional work zu institutional entrepreneurs

Nach einem von den Massenmedien bestimmten Strukturwandel der Öffentlichkeit sind es nun die Sozialen Medien, die sich kommunikativ zu Institutionen konstituieren und somit, aufbauend auf Überlegungen von Kurt Imhof, einen nächsten Wandel der Öffentlichkeit auslösen (vgl. Jarren 2019b, S. 349). Plattformen wurden, aus Neo-Institutioneller Sicht, aufgrund neuer Werte und Leitbilder, jedoch von institutionellen Unternehmern, von Jarren auch institutional entrepreneurs genannt, entwickelt. Google, Facebook und Twitter zeigen, dass die Konzepte neuer Intermediäre ausschließlich werbefinanziert und aus ökonomischem Antrieb existieren. So romantisch eine nach Bourdieus Habitus logische Schlussfolgerung auch wäre, dass durch die Genese und Reproduktion der eigenen Handlungen entstandene Zweifel an der Selbstverständlichkeit der Institution zu einer Neuausrichtung führte (vgl. Florian 2008b, S. 4269), so ernüchternd ist die Wahrheit, dass die wirtschaftsgetriebene Massenkommunikation eine neue Plattform zur Ausbreitung erlangt.

Hier folge zwar wahrscheinlich auf die persönlichen Reflektion und Erwartungshaltung an die Institution Medien eine selbstbestimmte und entgegen der Isomorphie agierende Kommunikation, jedoch ist die entstandene Interaktionsbeziehung für Nutzer*innen vielleicht kommunikativ, aber noch lange nicht partizipativ. Strukturen werden vorgegeben, eine Beteiligung an der Gestaltung der Plattformen ist nicht möglich. Trotz der hohen Kommunikationsmacht, die die Plattformen den Nutzer*innen verleihen, ist es immer demnach stets die Anbieterseite, die die Struktur definiert und das Nutzungsverhältnis zu ihren eigenen Vorteilen lenkt. Eine institutionelle Legitimität kann sich jedoch auf die Ermöglichung von Individualkommunikation, also der für alle Akteur*innen geltenden Redefreiheit, stützen, solange sie der Freiheit, die sie ihren Nutzer*innen verspricht und der Unabhängigkeit journalistischer Kommunikationsweisen, nicht grundsätzlich widerspricht. So ist es möglich, dass sie den Nutzern wie informelle und stark formlose und weniger als formelle, also besonders formgebende Institutionen vorkommen (vgl. Jarren 2019, S. 172, 175).

Katzenbach führt weiter aus, dass der fundamentale Prozess der Neuinstitutionalisierung in der für die Gesellschaft relevanten Kommunikation den Sozialen Medien eine Rolle als selbstverständliches Mittel zur privaten und gesellschaftlichen Kommunikation beimisst. Ändert sich die persönliche Kommunikation (so auch ihr Freiheitsgrad in den Medien), so ändere sich auch die Erwartungshaltung an kommunikatives Handeln, gegenüber anderer Akteur*innen und Organisationen. Eine kollektive Verschiebung der Erwartungshaltung wäre denkbar (vgl. Katzenbach 2020, S. 2).

Betrachte ich hier als Akteurin in den Sozialen Medien das eigene Kommunikationsverhalten und meine Erwartungen an die Plattformen, sowie andere Nutzer*innen wie beispielsweise auch Organisationen, Parteien oder Verbände, nehme ich bewusst war, wie ich von der durch Plattformen institutionalisierten Öffentlichkeit, nach dem Akzeptieren der vorgegebenen Kommunikationskanäle und -strukturen, erwarte, dass sich andere Akteure des traditionellen Mediensystems ebenfalls an ihr beteiligen und sich an die von den Plattformen vorgegebenen Kommunikationsformen anpassen. Eine Enthaltung aus Debatten und Diskussionen im digitalen öffentlichen Raum, der nach Habermas noch nicht einmal als dieser bezeichnet werden dürfte (vgl. Habermas 2006), entspräche nicht meinen persönlichen Erwartungen an die heutige, digitalisierte und stark vernetzte Medienlandschaft. Nichts desto trotz besteht in meinen Augen die Gefahr, dass der neue öffentliche Raum als eine Grundlage für diskussionsfähige und öffentlichkeitsrelevante Kommunikation durch die Fülle an Stimmen und Informationen geflutet werden könnte.

Algorithmusblase statt Journalismusfilter

Die journalistische Arbeit, ihre Tätigkeit als Filter für allgemein relevante Themen und ihre regulativen Normen in den Massenmedien werden in den Sozialen Medien fallen gelassen, die neuen Kommunikationsangebote, -kanäle und -ansprüche unterscheiden sich grundlegend von bekannten Strukturen. Es werden keine Gatekeeper benötigt, die die Themen nach Relevanz für die Allgemeinheit selektieren und journalistische Ansprüche sicherstellen. Auf den Plattformen geschieht das gleiche wie während des ersten Strukturwandels der Öffentlichkeit: „[…] der Journalismus in den Massenmedien hat auch seine den Ton angebende (Meinungstenor) wie den Darstellungsstil (Sprache; bildliche Darstellungsformen; Formen der Kritik etc.) prägende Funktion verloren“ (Jarren 2019b, S. 353).

Der neue, digitale Gatekeeper nennt sich Algorithmus. Im Gegensatz zu journalistischen Ansprüchen für Relevanz in publizistischen Medien liegt hier der Anspruch bei der Individualisierung und dem Konstituieren einer eigenen, kleinen Öffentlichkeit. Durch ungefilterte Kommunikation und Anerkennung dieser durch ein aufgebautes Netzwerk ist es mir als Nutzerin sogar möglich, über mein Netzwerk hinaus die neue allgemeine Öffentlichkeit zu erreichen und, im besten Fall, die Erwartungen anderer Akteur*innen an sie mit meiner Kommunikation zu bestätigen und die Plattformen institutionell zu bestärken.

Nach Katzenbach sind auch während des zweiten Strukturwandels der Öffentlichkeit, in dem wir uns zur Zeit befinden, die bestehenden Ebenen der Institutionalisierung ein Indiz dafür, dass sich Ordnungs- und Wandlungsprozesse, wie wir sie in der Neuausrichtung des Mediensystems erleben, durch ganz unterschiedliche Mechanismen und an verschiedenen Orten abspielen. Mithilfe dieser institutionstheoretische Basis lasse sich eine Doppelbewegung wechselseitiger Institutionalisierung beschreiben. Plattformen re- institutionalisieren durch ihre neuen Formen die Öffentlichkeit, während diese gleichzeitig von Öffentlichkeit, Politik oder den Nutzer*innen institutionell gestaltet wird (vgl. Katzenbach 2020, S. 5f.).

Ein Schritt in Richtung Re-Institutionalisierung publizistischer Medien

Denn auch, wenn sich die Sozialen Medien zunächst als kulturell und politisch unabhängig etabliert und die Kommunikationsweise und -regulierung der traditionellen Medien durch die Einrichtung eigener Kommunikationsstrukturen und -richtlinien abgelehnt haben, so wäre es für die Institutionen Journalismus und Politik vermutlich fatal, diese nicht wahrzunehmen. Niedrige Eintrittsbarrieren in einen gesellschaftlichen Dialog mit der neuen Öffentlichkeit, wie sie die Plattformen bieten (vgl. Jarren 2019, S. 172), können, und dafür plädiere ich, den ersten wichtigen Schritt in der Re-Institutionalisierung von publizistischen Medien und journalistischen Ansprüchen darstellen. Der Strukturwandel gesellschaftlicher Kommunikation ist noch nicht vollendet, eine vollkommene Integration der Plattformen in die Gesellschaft und die Politik steht noch aus (vgl. Katzenbach 2020, S. 12). Jarren führt zum Prozess der Institutionalisierung der Öffentlichkeit aus: „Horizontal wie vertikal differenziert sich das Intermediäre System der Gesellschaft wie auch die Öffentlichkeit aus. Für diesen Differenzierungsprozess sind Social-Media-Plattformen relevant, weil sie zahlreiche Möglichkeiten für die Interessenartikulation Einzelner wie Gruppen oder Organisationen ermöglichen. Zudem können Social Media sowohl flexibel genutzt (Mediennutzung) wie auch benutzt werden (Mediengebrauch). Damit entstehen für Einzelne wie Organisationen neue Formen von Teilhabe, Teilnahme, Mitgliedschaft wie der sonstigen Inklusion.“ (Jarren 2019b, S. 360)

Wie der Beginn einer Implementierung von politischen Themen in den Sozialen Medien aussehen kann, zeigen bereits Twitter-Accounts von Politiker*innen und Parteien, offizielle Accounts massenmedial relevanter Nachrichtenagenturen oder auch einzelne Nutzer*innen der Plattformen wie beispielsweise Blogger*innen, die ihre Stimme erheben und die für ihre Öffentlichkeit relevanten Themen kommunizieren können. Politisch motivierte Blogger*innen schaffen hier bereits eine Schnittstelle zwischen einem gewissen Rezipient*innen-Anspruch an zuverlässige und journalistisch geprüfte Informationen und dem Adaptieren der Kommunikationsstrukturen der neuen Intermediäre. Ist das politische Interesse und der Anspruch an eine journalistisch Aufbereitung erst einmal in einer Teilöffentlichkeit geweckt, fließt es in den Prozess des strukturellen Wandels von Kommunikation mit ein, beeinflusst gegenseitig Plattformen und Öffentlichkeit, schürt Erwartungen und konstituiert publizistische Medien erneut. Die Öffentlichkeit, die sich zunächst als ein Akteur im traditionellen Mediensystem fügte, institutionalisiert und durch Ausrichtung an kollektiven Entscheidungen und Erwartungen angepasst wurde, ist von den neuen Plattformen abhängig, die wiederum von der Öffentlichkeit und ihren Akteur*innen abhängen. Ein Kreislauf, in den es in den nächsten Jahren gilt, ein gesellschaftsrelevantes Thema wie politische Akteure und Debatten einzuschleusen.

Institutioneller Wandel der Medienregulierungen

So flexibel wie die Integration von Politik in die Sozialen Medien noch erscheinen mag, so flexibel sollten in Zukunft aber auch, so fordern ebenfalls Brosda und Schulz, vor allem um den neuen Erwartungen der Öffentlichkeit an (politische und kulturelle) Kommunikation gerecht zu werden, die Aufgabenbereiche der publizistischen, öffentlich-rechtlichen Medien gestaltet und Handlungsbereiche ausgeweitet werden. Das vernachlässigen der journalistischen Brille und ihrer Filterfunktion im Internet zu Beginn der Ausdifferenzierung der Medien zieht die Veränderung der regulativen Ebene mit sich.

Können Presserecht und Staatsverträge den öffentlich-rechtlichen Rundfunk regeln, sind es nach Katzenbach vor allem Community Guidelines und AGBs, die die vielseitige Kommunikation der Nutzer*innen auf den Plattformen bestimmen. Sind es letztendlich diese informellen Regeln, die die Plattformen stellen und selbst als einen Filter für die Art und Weise der Kommunikation setzen, ist es doch das einfache darüber hinweg Scrollen durch Nutzer*innen, was Katzenbach sowie Brosda und Schulz kritisch anmerken, aber gleichzeitig die informelle Eigenschaft der neuen Plattformen ausmachen. Medienpolitik wie sie derzeit bestünde, müsse sich unter Berücksichtigung der neuen Plattformen, ihrer individuellen Regularien und Kommunikationswege auf eine erheblich ausgeweitete Zahl von Stakeholdern ausrichten, um diskursfähig zu sein (vgl. Brosda & Schulz 2020).

Das Befördern der Nutzer*innen zu relevanten Kommunikationsakteur*innen im politischen Diskurs, die durch technologische Infrastrukturen eigene Interessen teilen, sich mit Gleichgesinnten vernetzen und eine eigenen Öffentlichkeit schaffen können, führen im Idealfall zu einem hohen Gemeinschaftsgefühl, das es auch für Brosda und Schulz gilt, im Sinne des Journalismus und der publizistischen Medien, trotz der Kommunikationsflut im Internet, beizubehalten. Im strukturellen Wandel, in dem wir uns befinden, könnte eine Integration dieser Kommunikationsakteur*innen in den Prozess der Medienregulierung als konstituierendes Mitglied in Kombination mit der fortführenden Bindung der Intermediäre an die Grundrechte entscheidend sein.

Plädoyer für eine Re-Institutionalisierung der traditionellen publizistischen Medien

Maria Löblich betont noch einmal das Wissen, welches Akteur*innen über die Bedingungen ihres Handelns haben. Sie speichern es in ihren Regeln und Routinen. Legitimierte Institutionen, in denen Handlungsmuster etabliert sind, würden, im Sinne des Neo- Institutionalismus, so lange nicht in Frage gestellt werden, bis eine Unterbrechung die üblichen Handlungen der Akteur*innen stoppt und ein Prozess des sozialen Wandels stattfindet. Hier würden Institutionen reorganisiert und müssten ihre Legitimation erneut begründen und erarbeiten (vgl. Löblich 2017, S. 433). Veränderte Nutzungsformen im Medienbereich, wie bei der Institutionalisierung der neuen Intermediäre und im voranschreitenden Strukturwandel der gesellschaftlichen Kommunikation, würden in diesem Falle die publizistischen Medien dazu veranlassen, ihre Daseinsberechtigung als Institution auf die Probe zu stellen. Im vorliegenden Essay wird vor allem die Verantwortung sowie die Beeinflussungen der Plattformen betont, doch ohne Öffentlichkeit, ohne jeden einzelnen Nutzer und jede einzelne Nutzerin gäbe es die neue mediale Öffentlichkeit nicht. Vielleicht liegt es jetzt in der Verantwortung der Rezipient*innen, die Ansprüche an die Formulierung von Nachrichten in den Sozialen Medien zu überdenken, zurück zu kehren zu den Ansprüchen an wahre Aussagen und fundierte Informationen, an eine angemessene Kommunikation und somit den Prozess des gesellschaftlichen, institutionellen Wandels, als wesentlicher Bestandteil dessen, in eine anspruchsvolle Richtung zu lenken. Eine Re- Institutionalisierung der publizistischen Medien durch die moderne Gesellschaft in ihrer Rolle als globale Kommunikationsgesellschaft.

Über die Autorin

Adina Eggert studiert Kommunikationsmanagement und überzeugt mit ihrem sehr persönlich gehaltenen Essay. Studierende des Masterstudiengangs Kommunikationsmanagement argumentieren im Ergebnis dieses Seminars sorgfältig und stellen fundierte Überlegungen an: Wie kann ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk gestaltet werden? Welche Möglichkeiten gibt es, Medienzukunft angesichts zunehmender Verschiebungen der Mediennutzung zu denken? Welche Rolle spielen Plattformen?

Und sie schreiben Essays – ein eher ungewöhnliches Format im Studium. Im Regelfall werden eher wissenschaftliche Hausarbeiten verfasst. Das Experiment, die Autorinnen und Autoren auf einen Essay zu verpflichten, ist erfolgreich – und bringt erstaunliche Ergebnisse, die hier geteilt werden. Vier Arbeiten erreichen im Rahmen der Begutachtung eine 1,0 – und werden geteilt. Prädikat: Lesenswert!

Literatur zum Essay

Brosda, Carsten; Schulz, Wolfgang (2020): Wir brauchen eine neue Medienpolitik. Frankfurter Allgemeine Zeitung

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Im Dialog mit der Vergangenheit – der Öffentlichkeitsbegriff. Autorin: Christina Wicke.

Das dritte von insgesamt vier Essays, die sich damit auseinandersetzen, wie die Zukunft von Massenmedien und Sozialen Medien auch politisch verantwortlich gestaltet werden können. Christina Wicke nimmt den vor allem durch die Technologie stark beschleunigten Strukturwandel der Öffentlichkeit in den Blick. Hierfür lädt sie die Leserinnen und Leser ein, eine komplexe Thematik tiefer zu durchdringen. Historische Brückenschläge und eine feine Metaphorik runden ihre Argumentation ab und geben Orientierung in einer von Ungewissheit geprägten Lage:

Strukturwandel der Öffentlichkeit – Chance oder Krise für die Demokratie?

Öffentlichkeit gilt als die Wiege unserer Demokratie – und sie geht uns verloren. So könnte man zumindest aktuell pessimistisch argumentieren. Ob es wirklich so weit kommt vermag zum aktuellen Zeitpunkt wohl niemand zu sagen, sicher ist jedoch, dass sich die Öffentlichkeit verändert. Schon Anfang der 1960er Jahre hat Jürgen Habermas einen ersten Strukturwandel der Öffentlichkeit beschrieben, nun sprechen Wissenschaftler von einem erneuten Wandel.

Auf den ersten Blick könnte man meinen, die Digitalisierung und die damit verbundenen neuen Kommunikationsmöglichkeiten hätten die Welt zu einer besseren gemacht – jeder kann sagen was er will, wann er will und wo er will. Nicht wenige Wissenschaftler beklagen jedoch eine daraus resultierende Fragmentierung der Öffentlichkeit und ein schieres Überangebot an Informationen.

Zu beobachten ist dies auch an der aktuellen Corona-Pandemie – die Meinungen über die Krisenpolitik der Regierung gehen stark auseinander und werden ebenso stark im Netz diskutiert – mit teilweise direkten Auswirkungen auf anstehende Entscheidungen. Selten hat jedoch ein Thema die Ansichten in der Bundesrepublik so sehr gespalten wie die Corona-Politik. Die Frage, die sich vor diesem Hintergrund stellt, ist nun also, ob ein erneuter Strukturwandel der Öffentlichkeit Chancen für eine demokratischere Form von Öffentlichkeit bietet – oder ob er die Demokratie in die Krise stürzt.

Demokratie und Öffentlichkeit

Auch – oder gerade – bei der Betrachtung aktueller Problemstellungen kann es sinnhaft sein einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Denn im demokratischen Prozess spielt Öffentlichkeit schon immer eine wichtige Rolle. Man kommt nicht umhin sie als Bedingung der Demokratie zu bezeichnen – denn nicht zuletzt war sie die zentrale Forderung der Aufklärung gegenüber der Staatsgewalt und wird bis heute als Schlüsselterminus der modernen Staats, Staatsrechts und Gesellschaftstheorie angesehen (Imhof, 2003). Schon Jeremy Bentham bezeichnet Öffentlichkeit als das universale Mittel gegen Machtmissbrauch, das eine Regierung dazu zwingen könne, sich zu rechtfertigen (Splichal, 2017).

Sicherlich war der Öffentlichkeitsbegriff im Laufe der Zeit einem gewissen Wandel unterworfen, Öffentlichkeit und Demokratie ziehen sich jedoch untrennbar miteinander verbunden durch die Zeitgeschichte (vgl ebd.).

Diesen Wandel sicherlich am prominentesten beschrieben hat Jürgen Habermas (Habermas, 1990, 1962) – und auch wenn sein Verständnis von Öffentlichkeit in der Realität wohl schwerlich umzusetzen ist (und er dafür über die Jahre berechtigte Kritik einstecken musste), so ist es doch sinnvoll, für die Betrachtung gerade genannter Fragestellung den Habermaschen Öffentlichkeitsbegriff als erstrebenswertes Ideal anzusehen. Denn trotz der Tatsache, dass Habermas seine Gedanken vor fast 60 Jahren niedergeschrieben hat, sind sie noch immer fast zeitlos aktuell (Deutschlandfunk Kultur, 2019; SRF, 2012). Vor dem Hintergrund der Digitalisierung und den damit verbundenen neuen Möglichkeiten stellt sich zur Zeit vielmehr die Frage, ob wir dem öffentlichen Diskurs wie Habermas ihn begreift nicht näher sind, als wir es je zuvor waren – denn nicht wenige Autoren bezeichnen Social Media Angebote als die Kaffeehäuser der digitalen Ära (Krüger, 2019; Weichert, 2011).

Mit dem Habermaschen‘ Öffentlichkeitsbegriff muss automatisch auch die Vorstellung von Pluralität und einem deliberativen Konzept von Demokratie einhergehen (Goertz, 2015, S. 22). Vor der aktuellen Legitimationskrise der Politik (Wallner, 2018, S. 56) eine sicherlich nicht unberechtigte Vorstellung – als ganzheitliches Konzept in der Realität jedoch genauso schwer umzusetzen, wie Habermas Ideal von Öffentlichkeit selbst. Er selbst räumt ein, dass deliberative Modelle in kleineren Kreisen nachweisbar produktive Erträge bringen, für so große Systeme wie eine Bundesrepublik jedoch völlig ungeeignet sind (Habermas, 2006). Nun könnte man die Vorstellung einer deliberativen Demokratieform schnell als Utopie abtun – oder sich die Frage stellen, welchen Beitrag das digitale Zeitalter für eine demokratischere Zukunft leisten kann. Dafür müssen die folgenden Aspekte betrachtet werden:

– können soziale Netzwerke die Funktion von öffentlichen Räumen erfüllen?

– welchen Beitrag zu einer demokratischeren Gemeinschaft kann Partizipation leisten?

– wie kann eine funktionierende Existenz des Mediensystems gesichert werden?

Das Internet als diskursiver Raum

Viele kritische Theoretiker (einschließlich Habermas selbst) sind der Meinung, das Internet könne (noch) nicht als öffentlicher Raum gewertet werden (Deutschlandfunk Kultur, 2019; Habermas, 2006; SRF, 2012). Folgt man der Argumentation Habermas‘, dass Öffentlichkeit dort entsteht, wo mündige Bürger miteinander diskutieren und öffentliche Gründe austauschen, dann haben sie vermutlich Recht. Vieles, was im Netz geschieht hat wenig bis gar nichts mit dem Austausch von Gründen zu tun – zumindest nicht mit dem Austausch öffentlicher Gründe.

Natürlich kann auch man argumentieren, dass auf Plattformen wie Instagram lediglich Bilder ausgetauscht werden und keine Argumente oder ein Tweet mit seinen 280 Zeichen Platz keinen Raum für „echte“ Gründe bietet (Deutschlandfunk Kultur, 2019). Doch diese Sicht wird der Sachlage nicht ganz gerecht.

Wie anders wäre es zu erklären, dass ein blauhaariger junger Mann eine ganze Partei mit nur einem Video in Erklärungsnöte bringen kann und auch etablierte Talkrunden dazu bringt, sich mit seinen in einem Youtube-Video veröffentlichten Thesen zu befassen (Breher, 2021; Dell, 2019; N-tv Nachrichten, 2019)?

Ein ähnliches Beispiel gibt es auch aus jüngster Zeit, wenn auch weniger medienwirksam: Die Sat.1-Moderatorin Marlene Lufen bekam von ihrem Sender eine Sondersendung zum Corona-Lockdown, nachdem ein privates Video zu diesem Thema auf ihrem Instagram-Kanal fast 11 Millionen mal angeschaut worden war (Matisowitsch, 2021). Zusätzlich entstand auch auf Twitter eine Diskussion über ihr Video (Twitter, 2021) – zwar mit einer begrenzten Anzahl von Zeichen, jedoch – zumindest in meinen Augen – ein Austausch von Argumenten.

Selbstverständlich kann man nicht davon ausgehen, dass ein solcher Austausch der Regelfall ist und Nutzer durch ihren Austausch zum Gemeinwohl beitragen. In den genannten Fällen müssen jedoch wohl auch die kritischten aller Theoretiker anerkennen, dass sich um die unkontrollierten Statements (Deutschlandfunk Kultur, 2019), die diese Videos ursprünglich waren, eine Diskussion entsponnen hat, die sich sowohl zwischen Internetnutzern, aber auch im Diskurs der klassischen Medien abgespielt hat. Auch Hashtags wie #metoo oder #blacklivesmatter haben Bewegungen mit einer weltweiten Relevanz hervorgebracht – und sie begrenzen sich lediglich auf einen Hashtag.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Entwicklung neuer Möglichkeiten wie zuletzt der App Clubhouse, deren Prinzip einer digitalen Podiumsdiskussion gleicht – aktuell wahrscheinlich die digitale Form, die einem Austausch von Gründen im Verständnis der kritischen Theorie am nächsten kommt. Denn noch gibt es für die Akteure dort keine Möglichkeit Inhalte zu monetarisieren – die App ist jedoch auch nur für einen ausgewählten Kreis an Zuhörern zugänglich (Wolckenhaar, 2021).

Diese Beispiele bedeuten nicht, dass jede Kommunikation im Internet – sofern man denn in manchen Fällen überhaupt davon sprechen kann – auch gleich der Austausch von Argumenten sein muss, jedoch können auch im Netz Kommunikationsräume entstehen, in denen ansatzweise eine Art Diskurs entstehen kann (SRF, 2012) (die Betonung liegt hier jedoch ausdrücklich auf kann). Man könnte solche Räume im Netz als „vorpolitisch“ (Wallner, 2018, S. 58) bezeichnen, die die „authentische[n] Repräsentanz von Bürgerwillen“ ermöglichen (Vgl. ebd.).

Partizipation

Argumentiert man entsprechend weiter, müsste die Frage eigentlich nicht mehr lauten, welche Chancen ein erneuter Strukturwandel der Öffentlichkeit (Brosda, 2013; Stark & Magin, 2019, S. 379) bringt, sondern eher, wie wir sie nutzen können. Aber auch das wäre zu kurz gegriffen.

Optimisten würden wohl sagen, die Digitalisierung bringe ganz neue Formen von Teilhabe mit sich und schaffe eine nie dagewesene demokratische Form – eben dem Habermaschen Ideal sehr nahe. Denn die Vorteile liegen auf der Hand: geringe Eintrittsbarrieren, schnelle Rückkanäle, Interaktion mit Politikern, die sonst unerreichbar wären…Jeder kann seine Meinung äußern und so zum politischen Prozess beitragen. 

Auf den ersten Blick mag dies wie die Lösung all unserer Probleme klingen, ist an dieser Stelle aber leider zu kurz gegriffen. Denn es müssen auch die Risiken betrachtet – und sich damit verbunden die Frage gestellt werden, ob nicht der durch diese Möglichkeiten entstehende Informationsüberfluss für die Demokratie eher abträglich ist (Brosda & Schulz, 2020). Denn es besteht die Gefahr, dass sich der von Habermas erhoffte Pluralismus in Fragmentierung wandelt. Manch einer geht sogar so weit zu sagen, es sei schon zu spät, die Öffentlichkeit als Spiegel der Demokratie sei zerbrochen (Deutschlandfunk Nova, 2020).

Partizipation kann (und auch hier liegt die Betonung wieder ausdrücklich auf kann) einen Beitrag zu einer demokratischeren Gesellschaft leisten, wenn wir lernen, sie richtig zu nutzen. Wenn wir richtig damit umgehen, eröffnen sich neue Perspektiven für die Zukunft, die tatsächlich zu einer demokratischeren Gesellschaft führen könnten (Brosda, 2013). So könnte die Beteiligung von Bürgern als Gegenpol zu vermachteten und ökonomisierten Medien gesehen werden – und bildet einen Raum für freie Diskussion, in der durch den zwanglosen Zwang des besseren Arguments die bestmöglichen Entscheidungen gefunden werden können (Krüger, 2019). Vorausgesetzt man unterstellt den beteiligten Akteuren im Interesse des Gemeinwohls und nicht in ihrem privaten Interesse zu argumentieren. Denn auch wenn sich im Netz bereits ähnliche Muster zeigen wie in der realen Gesellschaft, beispielsweise dass einige Nutzer ihre Meinung wirkmächtiger äußern als andere (Kutscher, 2016) oder sich erfahrungsgemäß nur diejenigen politisch beteiligen, die sich auch außerhalb digitaler Möglichkeiten bereits politisch engagiert haben (DJI/ TU Dortmund, 2011), zeigen sich auch immer wieder Beispiele von Gegenöffentlichkeiten (Filipovic, 2019), die im Netz entstanden sind und die Politik erheblich unter Druck setzen (Wallner, 2018, S. 72).

Die Ökonomisierung der Medienlandschaft

Voraussetzung dafür, dass Bürger im Netz durch den Austausch von Argumenten überhaupt einen Beitrag zur Demokratie leisten können, sind jedoch Rahmenbedingungen, die einen ausgeglichenen Diskurs sichern. Diese müssen geschaffen werden. Denn eine kritische Öffentlichkeit kann nicht funktionieren, wenn den Bürgern nur einseitige Informationen zur Verfügung stehen – oder ein Algorithmus entscheidet, welche Informationen angezeigt werden (Lobe, 2018).

In einer idealen Vorstellung diskursiver Öffentlichkeit haben mündige Bürger die Chance miteinander zu diskutieren und öffentliche Argumente auszutauschen – dies setzt jedoch voraus, dass alle Bürger die gleiche Informationsgrundlage besitzen, um sich eine Meinung zu bilden. Diese zu schaffen ist neben ihrer Kontrollfunktion eigentlich Aufgabe der Massenmedien (Jarren, 2008; Pötzsch, 2009; Splichal, 2017). Wie gut oder schlecht sie dieser Aufgabe über die letzten Jahre nachgekommen sind mag an dieser Stelle einmal dahingestellt bleiben.

Noch vor einigen Jahren wurde der öffentliche Diskurs jedoch klar durch die klassischen Medien und damit durch den Journalismus bestimmt (Brosda, 2013). Dies ist heutzutage nicht mehr der Fall, das digitale Netz schluckt und integriert gleichzeitig alle bestehenden Medienformate – sowohl Fernsehen, Radio als auch Zeitungen (Brosda, 2013; Weichert, 2011). Pluralität und Unabhängigkeit können schon seit Jahren nicht mehr als Maßstäbe unseres Mediensystems angesehen werden.

Zur Ursachenforschung lohnt sich auch hier wieder ein Blick in die Vergangenheit: Denn während Kant und Bentham die Öffentlichkeit noch als das Mittel gegen den Missbrauch von Macht ansahen, erkannten Kritiker wie Karl Marx, Ferdinand Tönnies oder Karl Bücher, dass auch die Presse nicht frei von hegemonialen Einflüssen ist (Splichal, 2017). Eine unabhängige Berichterstattung vor dem Hintergrund privatwirtschaftlicher Interessen erscheint nahezu unmöglich – und die Digitalisierung verstärkt diesen Effekt noch. Das liegt zum einen daran, dass es kein hinreichendes Geschäftsmodell mehr für Qualitätsmedien gibt (Beck, 2018, S. 400), zum anderen an der Marktmacht einzelner Akteure (Faulhaber, 2019).

Die aktuelle Zeitungskrise macht das Dilemma besonders deutlich: durch den Aufschwung digitaler Angebote verlieren die etablierten Medien ihre Finanzierungsgrundlage – Reichweiten und Auflagen sinken. Im Jahr 2020 wurden rund 14% weniger Publikumszeitschriften verkauft als noch zwei Jahre zuvor (Vogel, 2020), bekannte Tageszeitungen wie die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Allgemeine oder auch die Bild Zeitung verlieren stetig an Auflage (Schröder, 2020). Das bringt Medienhäuser in Bedrängnis, die Konsequenz sind Stellenstreichungen, zusammengelegte Redaktionen und „Einzeitungskreise“ (Beck, 2018). Pluralität und Meinungsvielfalt? Fehlanzeige. Hinzu kommt die enorme Marktmacht einzelner Akteure: Netzgiganten wie Facebook und Google bestimmen die Spielregeln am Markt, nicht wenige Medienunternehmen haben keine andere Wahl, als sich in eine völlige Abhängigkeit zu begeben – denn der Algorithmus bestimmt, welche Artikel die Leser angezeigt bekommen (Faulhaber, 2019).

Hoffnungslose Optimisten würden jetzt argumentieren, dass die Digitalisierung genau an dieser Stelle Chancen der Partizipation auch für kleine Redaktionen und Einzelpersonen bietet – losgelöst von wirtschaftlichen Einflüssen, in Regionen, in denen es keine publizistischen Einheiten mehr gibt und auch Themen eine Stimme gebend, über die sonst niemand berichtet.

Bis zu einem gewissen Grad mag das auch stimmen – um begründet diskutieren zu können, bräuchte es jedoch eine gemeinsame Informationsgrundlage – andernfalls entwickelt sich die erhoffte Pluralität in fragmentierte Teilöffentlichkeiten und der Spiegel der Öffentlichkeit zerbricht.

Der Algorithmus als Zerstörer der Demokratie

Das Problem der Intermediäre (oder wohl eher einer unabhängigen demokratischen Meinungsbildung) ist, dass die Geschäftsmodelle von Facebook, Twitter & Co. rein werbefinanziert sind und ausschließlich der Profitmaximierung dienen (Stark & Magin, 2019, S. 389). Relevanz wird nicht mehr anhand redaktioneller Leitwerte und journalistischer Qualitätskriterien gemessen, sondern folgt der Logik des Algorithmus (Stark & Magin, 2019, S. 377), die zum einen relativ beliebig gestaltet ist, zum anderen aber auch eine Art Black Box darstellt. Denn nur die Unternehmen selbst wissen, wie der Algorithmus auswählt, was er auswählt (Lobe, 2018). Während im Journalismus noch Nachrichtenfaktoren als klassische Relevanzbegründung dienen, bestimmt der Algorithmus allein durch Popularität beim Nutzer (also lediglich durch einen einzigen Faktor!) über die Inhalte des Newsfeed (Stark & Magin, 2019, S. 385). Daraus ergeben sich mögliche Probleme für unsere demokratische Gesellschaft:

– Die Schwierigkeit des Einzelnen, selbstbestimmt zu handeln und sich zu informieren und sich aufgrund dessen eine umfassende Meinung zu bilden (Martini, 2019)

– Stattdessen: Polarisierung von Meinungen und Fragmentierung von Öffentlichkeit

– Funktionsfähigkeit des Marktmechanismus durch schwer angreifbare oligopolistische Marktstrukturen (Martini, 2019)

Diese Probleme können nicht allein durch Partizipation gelöst werden, Öffentlichkeit allein reicht nicht aus (Des Freedman, 2017) – Partizipation kann und muss jedoch ihren Teil dazu beitragen, das Fortbestehen einer demokratischen Gesellschaft zu sichern.

Was passieren muss

Von der „Rettung der Demokratie“ zu sprechen, wäre an dieser Stelle vielleicht doch etwas zu hoch gegriffen – die Demokratie kann jedoch in eine ernsthafte Krise geraten, wenn wir uns diesen erneuten Strukturwandel nicht bewusst machen – und darauf reagieren. Nicht nur in der Wissenschaft, sondern vor allem in der Gesellschaft.

Öffentlichkeit muss als Raum gesichert bleiben, in der ein Diskurs möglich ist (nicht als Raum, in dem zwingend bei jeder Art von Kommunikation auch ein Diskurs stattfinden muss, auch das wäre utopisch). Um eine stabile Basis der Demokratie zu gewährleisten, braucht es deswegen weitere Regulierungen. Denn nur wenn diese Basis gewährleistet ist, kann auch Partizipation im Netz einen Beitrag zu einer deliberativeren Form von Demokratie leisten – und helfen der aktuellen Legitimationskrise entgegenzuwirken.

Dem Journalismus fällt hierbei die Aufgabe zu, die zerbrochenen Teile des Spiegels zusammenzuhalten, sodass weiterhin ein komplettes Bild erkennbar ist. Denn die Digitalisierung und die damit verbundenen neue Medienformen machen den Journalismus nicht obsolet, er wird vielmehr wichtiger denn je. Seine Aufgabe wird weiterhin darin bestehen, kritisch zu hinterfragen und einzuordnen – er muss sich jedoch mit neuen Öffentlichkeiten vernetzen und zu einer diskursiveren Art von Journalismus werden (Brosda, 2013). Nur so kann er neuen Öffentlichkeiten gerecht werden. Ob dies weiterhin in Form klassischer Redaktionen passieren wird bleibt abzuwarten. Möglicherweise werden sich in dieser Hinsicht in Zukunft weitere Modelle entwickeln, über die wir heute nur spekulieren. Eine Studie von Forschern im Auftrag der Landesanstalt für Medien in Düsseldorf hat beispielsweise gezeigt, dass Menschen durchaus bereit sind, Geld für qualitativ hochwertigen Journalismus zu bezahlen – jedoch eher als Abo-Modell, wie es beispielsweise Anbieter wie Netflix oder Spotify vertreten – auch daraus könnten sich Zukunftsformen für den Journalismus entwickeln (Wellbrock & Buschow, 2020).

In eine ähnliche Richtung denken auch Gostomzyk et al.: Sie schlagen ein fast schon revolutionäres Konzept vor: nämlich eine Kooperation zwischen öffentlcihen und privaten Rundfunksendern. Eine engere Zusammenarbeit bei Filmproduktion und Recherche würde den eine Menge Geld sparen, die öffentlich-rechtlichen Sender könnten dann zu einer „unabhängigen Digitalagentur für Qualitätsinhalte“ werden, indem sie in einer plattformähnlichen Form auf vertiefende oder weiterführende journalistische Qualitätsangebote der privaten Sender hinweisen. Denn auf sich allein gestellt, sei keine der beiden Säulen dauerhaft in der Lage gegen Plattform- und Streaminganbieter zu bestehen (Wittrock, 2020).

Auch Formate wie die App Buzzard gewinnen vor diesem Hintergrund der Polarisierung von Meinungen an Bedeutung: die App stellt beispielsweise einen Nachrichtenüberblick vom linken bis rechten Spektrum der deutschen Medienlandschaft zur Verfügung – so können sich Nutzer einen umfassenden Überblick bilden (Buzzard, 2021).

Damit die Existenz eines qualitativ hochwertigen Journalismus jedoch weiterhin gesichert bleiben kann, muss der Staat seine Aufgabe wahrnehmen und unterstützend zum Beispiel in Form von Substitutionen eingreifen.

Auch hier sei noch einmal der Blick in die Vergangenheit erwähnt: Auch dies ist kein neuer Vorschlag – Ferdinand Tönnies hat bereits im frühen 19. Jahrhundert vorgeschlagen, zur Sicherung ihrer Unabhängigkeit die Presse durch Substitutionen zu unterstützen (Splichal, 2017). Mit dieser Ansicht ist er nicht allein: aus verschiedensten Ländern im europäischen Raum kommt die Forderung nach direkten Subventionen, um qualitative Pressearbeit zu sichern (vgl. Künzler et Al. 2013). Auch Deutschland plant bereits, „die erforderliche digitale Transformation des Verlagswesens“ (Sterz & Borgers, 2020) mit bis zu 220 Millionen Euro zu unterstützen. Das Geld soll über mehrere Jahre verteilt an Verlage von Abonnementzeitungen ausgezahlt werden, um beispielsweise den Aufbau von Online-Shops, Rubrikenportalen oder Apps zu unterstützen. Dies ist sicherlich ein erster Schritt in eine gute Richtung, um die Existenz von Qualitätsjournalismus zu sichern wird er jedoch wohl nicht ausreichen. An dieser Stelle sind auch Medienunternehmen gefragt, neue Möglichkeiten für Bezahlmodelle zu entwickeln, denn ein guter, unabhängiger Journalismus ist für eine funktionierende Demokratie unerlässlich.

Doch auch in Bezug auf intermediäre Plattformen wie Facebook, Instagram und Co. müssen weitere Regulierungen getroffen werden.

Auch wenn es vielen von uns im Alltag wahrscheinlich lästig erscheint: Der neue Medienstaatsvertrag und auch die Datenschutzgrundverordnung leisten mit ihrer Transparenznorm in dieser Hinsicht schon einen wichtigen Beitrag, um Nutzern eine eigenverantwortlichere Entscheidung über die Verwendung ihrer Daten zu ermöglichen (Dogruel et al., 2020).

Im Hinblick auf Algorithmen und ihre bereits beschriebene Marktmacht muss in Sachen Transparenz jedoch noch deutlich nachgebessert werden. Denkbar wären in diese Richtung unzählige Möglichkeiten – von noch mehr verpflichtenden Transparenzhinweisen auf Seiten der Plattformen („Du siehst sehr viele Beiträge zum Thema xx, bist du dir dessen bewusst?“) bis hin zu einer gesetzlich verankerten Pflicht auf eine ausgewogene Darstellung. Inwieweit ein solches Gesetz jedoch tatsächlich umgesetzt werden könnte, bleibt wohl mehr als fraglich.

Um sicherzustellen, dass die Öffentlichkeit als diskursiver Raum weder mit den Mitteln der Staatsgewalt erstickt wird, noch durch Privatinteressen dominiert wird (Imhof, 2010), müsste außerdem darüber nachgedacht werden, ein unabhängiges Gremium einzurichten, das zwischen den unterschiedlichen Interessen vermittelt.

Um jedoch Bedingungen für eine nachhaltige Demokratie zu schaffen – und dies ist in meinen Augen einer der wesentlichsten und auch nachhaltigsten Punkte – ist es unerlässlich, die Medienkompetenz der Bürger zu fördern. Dies kann unter anderem an Schulen geschehen, muss es allerdings nicht ausschließlich – denn nicht nur die Schüler sind diejenigen, die sich in den neuen Öffentlichkeiten zurechtfinden müssen. Aus Bürgersicht ist es leicht den Staat in die Pflicht zu nehmen, oder die Verantwortung an Plattformen und Medienunternehmen abzugeben. Was dabei jedoch schnell vergessen wird, ist, dass wir als Gesellschaft genauso in der Pflicht sind, für eine demokratische Struktur zu sorgen – und das Gespräch miteinander zu suchen. Vor dem Hintergrund polarisierender Meinungen und einer zunehmend fragmentierten Öffentlichkeit wird das immer schwerer – aber genau deswegen müssen wir daran arbeiten. Nicht umsonst argumentieren Philosophen wie Kant und Habermas mit dem Austritt aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit oder sprechen von einer sich selbst aufklärenden Gesellschaft. Und auch wenn insbesondere Jürgen Habermas oft vorgeworfen wurde, er verwechsle den Seminarraum mit der Realität – so bleibt sein Ideal einer Öffentlichkeit, in der der Austausch von öffentlichen Argumenten stattfindet, nicht ganz utopisch. Es kann jedoch nur stattfinden, wenn alle Bereiche ineinandergreifen: die Gesellschaft, rechtliche Rahmenbedingungen, unabhängige Institutionen und ein funktionierender Austausch mit Beteiligung der Bürger. Nur dann kann gewährleistet werden, dass die Öffentlichkeit als Demokratie in nicht noch kleinere Stücke zerbricht.

Über die Autorin

Christina Wicke studiert Kommunikationsmanagement und beweist in ihrem Essay ein Gefühl für Sprache und Stil. Ihr Text entstand im Rahmen eines Seminars der KomMa-Professur mit der Zielrichtung, die Zukunft der Medien, die Zukunft des Me-diensystems in Deutschland auszuloten. Studierende des Masterstudiengangs Kommunikationsmanagement argumentieren im Ergebnis dieses Seminars sorgfältig und stellen fundierte Überlegungen an: Wie kann ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk gestaltet werden? Welche Möglichkeiten gibt es, Medienzukunft angesichts zunehmender Verschiebungen der Mediennutzung zu denken? Welche Rolle spielen Plattformen?

Und sie schreiben Essays – ein eher ungewöhnliches Format im Studium. Im Regelfall werden eher wissenschaftliche Hausarbeiten verfasst. Das Experiment, die Autorinnen und Autoren auf einen Essay zu verpflichten, ist erfolgreich – und bringt erstaunliche Ergebnisse, die hier geteilt werden. Vier Arbeiten erreichen im Rahmen der Begutachtung eine 1 – und werden geteilt. Prädikat: Lesenswert!

Literatur zum Essay

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Neugestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – Autor: Niko Gülle

Der zweite von insgesamt vier Essays, die sich damit auseinandersetzen, wie die Zukunft von Massenmedien und Sozialen Medien auch politisch verantwortlich gestaltet werden können. Niko Gülle nimmt sich in diesem Kontext den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor. Seine These:

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk benötigt keine Neugestaltung, sondern Updates!

Dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) stets um seine Legitimation kämpfen muss, wird auch in ganz greifbaren Alltagssituationen sichtbar. Zugegeben, diese Alltagssituation hat tatsächlich direkt etwas mit dem ÖRR zu tun. Beim Umzug in eine neue Wohnung werden mein Mitbewohner – ein langjähriger Freund – und ich nach einigen Wochen standesgemäß vom Beitragsservice der ARD, des ZDF und des Deutschlandradios begrüßt. Sie fordern den Rundfunkbeitrag ein. Die Begründung: Sie bieten „täglich ein hochwertiges, unabhängiges und vielfältiges Programm rund um Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport. Dieses Angebot lässt sich heute auf unterschiedlichsten Wegen empfangen – ob über Radio, TV, Computer oder Smartphone“ (ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice 2020). Dies scheint meinen Mitbewohner nicht ausreichend zu überzeugen: Die Reaktion auf den Beitragsservice beinhaltet Verärgerung und Unverständnis über die Höhe des Beitrags von 17,50 Euro. Und ich als Kommunikationsmanagement-Student ertappe mich zumindest kurz dabei, wie ich in Teilen Verständnis für diese Haltung aufbringe und sie sogar teile. Jetzt – nach ausführlichster Literaturrecherche zum Thema Neugestaltung des ÖRR – zeigt mein Kompass in eine klarere Richtung. Es braucht auch in Zukunft unabdingbar einen starken, seinen Funktionsauftrag erfüllenden ÖRR. Um die maßgebliche Rolle für eine „gelingende gesellschaftliche Kommunikation“ (Haller 2003, S. 181; aus Arnold 2016, S. 553)  in Zeiten fragmentierter Publika, der Tendenz zu gefilterter Mediennutzung und der Meinungsmacht von Intermediären wie Google und Facebook konsequent ausüben zu können, bedarf es jedoch einer digital- und publikumszentrierteren Ausrichtung. Eine zeitgemäße, dynamische Medienpolitik und ein stabiler Rundfunkbeitrag bilden dafür die Grundvoraussetzungen.

Die Rolle journalistischer Medien für das gesellschaftliche Gespräch

Falls Sie sich als Leser*in nun fragen, wie genau ich zu dieser Überzeugung und den noch allgemein formulierten Schlussfolgerungen komme, nehme ich sie in diesem Essay mit in die Welt meiner Recherche – und damit in die Welt des ÖRR. Zu Beginn lohnt zum besseren Verständnis der Gesamtthematik zunächst ein Blick auf die grundlegenden Funktionen journalistischer Massenmedien. Hallers Idee von Journalismus als „gelingender gesellschaftlicher Kommunikation“ impliziert, dass dieser eine gemeinsame Medienrealität als Orientierungsrahmen für aktuelle Ereignisse und Zusammenhänge schaffe (vgl. Arnold 2016, S. 553). Otfried Jarren (2020, S. 244) konkretisiert diesen Zusammenhang zwischen Medieninhalten und dem gesellschaftlichen Gespräch: „Durch ihren vorrangigen Bezug auf das System Politik, das allgemein verbindliche Entscheidungen generiert, ermöglichen sie einen Mehrsystemblick auf die Gesellschaft, weil die Problemanzeigen aus den gesellschaftlichen Teilsystemen an die Politik als zentrale Lösungsinstanz adressiert werden. Die Massenmedien greifen die Probleme auf (Thematisierung), organisieren und moderieren die Debatte und kommentieren diese. Die Probleme der Gesellschaft, die als allgemein lösungsbedürftig angesehen werden, werden wesentlich durch die universellen, aktuellen Massenmedien sichtbar gemacht und können gesamtgesellschaftlich verfolgt werden“. In der Literatur wird analog dazu das Bild der gesellschaftlichen Sebstbeobachtung bemüht (vgl. Siegert et al. 2018, S. 228). Für diese böten journalistische Massenmedien den Rezipient*innen vielfältige Möglichkeiten, um die in einer Demokratie wesentlichen Prozesse der Meinungsbildung anzuregen (vgl. ebd.). Alexander Filipović (vgl. 2019, S. 92) betont die Dienstfunktion von Medien für das Gemeinwohl. Denn öffentliche Kommunikation ermögliche es, neben individuellen auch gemeinsam geteilte, kollektive Wert- und Handlungsmaßstäbe im Alltag heran zu ziehen (vgl. ebd.). Doch aus der intensiven Literaturrecherche heraus wird klar, dass der Bedarf nach diesen Formen des Journalismus nicht ausreichend vom Markt nachgefragt wird. Manfred Kops (vgl. 2016, S. 9) beispielsweise gibt zu Bedenken, dass tiefgründige Hintergrundberichte über gesellschaftlich relevante Themen bei den Bürgern eher auf wenig Interesse stießen, obwohl insbesondere diese Darstellungsform den gemeinwohlförderlichen Journalismus ausmache. Diese teils fehlende Nachfrage der einzelnen Rezipient*innen („Ich interesse mich nicht für die Beiträge des ÖRR, warum sollte ich dann zahlen?“) ist ein sich stets wiederholendes Kernargument, das – wie wir im Laufe dieses Essays sehen werden – aus meiner Sicht jedoch zu kurz gegriffen ist. Aus medienökonomischer Sicht sei hier auf den Terminus der meritorischen Bedürfnisse verwiesen. Ein solches Bedürfnis liegt zum Beispiel in einer umfassenden, vielfältigen Meinungsbildung, die unter normalen marktlichen Umständen nicht zu Stande kommen könnte und durch öffentliche Einflussnahme unterstützt werde (vgl. Rau 2019, S. 40 f.). Dass dies einen extrem herausfordernden Spagat, insbesondere in Zeiten der Digitalisierung, darstellt, fasst Rau (2019, S. 41) so zusammen: „Wobei auch in dann vollständig digital durchdrungenen Medienwelten die Frage bleibt, wie Individualpräferenzen zu kollektiven Präferenzvorstellungen aggregiert werden (können)“.

Zurück zur derzeitigen Rolle journalistischer Massenmedien in der Gesellschaft: Kurt Imhof  (2010, S. 5) spricht bereits vor elf Jahren von einem „Strukturwandel der Öffentlichkeit“. Demnach habe sich der Großteil der Berichterstattung aus einer normativen, auf Sachverhalten beruhenden Prägung tendenziell in Richtung eines emotionalistischen Wettbewerbs um News entwickelt (vgl. ebd.). Unterhaltung in der Information scheint sich durch Formate wie Newsgames, Augmented Reality usw. zu einem Qualiätskriterium im heutigen Journalismus aufzuschwingen  (vgl. Süssenbacher 2018, S. 206). Bernhard Pörksen schlägt in eine ähnlich nachdenkliche Kerbe, diagnostiziert am Beispiel der amerikanischen CNN Tempowahn und Wettläufe um Informationen im digitalen Zeitalter (vgl. 2018, S. 42). In sozialen Netzwerken komme eine gezielte Manipulation der öffentlichen Meinung durch interessengeleitete Akteure hinzu (vgl. ebd., S. 45). Die sich abzeichnende, düstere Bestandsaufnahme scheint sich fortzusetzen, wenn Mitschka & Unterberger (vgl. 2018, Vorwort) zu Bedenken geben, dass unsere Gesellschaften neben ökonomischen und technologischen extreme politische Umbrüche wie Populismus, soziale Segmentierung und einen Vertrauensverlust in die Demokratie durchliefen. Es gibt allerdings auch einen Silberstreif am Horizont. Denn genau an dieser Stelle kommen meines Erachtens journalistische Massenmedien mit einem starken Stellenwert ins Spiel, um neutrale Informationen zu vermitteln und Orientierung zu geben. Mit Pörksen (2018, S. 47) lässt sich argumentieren, „dass die seriöse, unaufgeregtere, bewusst entschleunigte Einordnung, die erörternde Suche nach der richtigen Tonlage und der angemessenen Reaktion für die klassischen Medien ein neues Gewicht bekommt – gerade in Krisensituationen, gerade bei Katastrophen in Echtzeit, gerade im Falle von Attentaten und Anschlägen“. Zu dieser Einschätzung passt die Analyse des Präsidenten der deutschen Presseverleger, Mathias Döpfner, der den Medienrezipient*innen in der fortwährenden Corona-Pandemie das stärkere Bedürfnis nach differenzierter und vertrauenswürdiger Berichterstattung bescheinigt (vgl. Hanfeld 2020, S. 16).

Hintergrundinformationen zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Unabhängig von der Corona-Pandemie lassen sich die beschriebenen Anforderungen an journalistische Massenmedien – ihre gewichtige Rolle für Meinungsbildungsprozesse in der Demokratie – in besonderer Form auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk übertragen. Im deutschen Rundfunkstaatsvertrag (ebd. 2019, S. 17), der zuletzt im Oktober 2018 durch den 22. Rundfunkänderungsstaatsvertrag eine Auffrischung erhielt, ist der Auftrag des ÖRR in Paragraph 11 festgelegt:

(1) „Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist, durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben in ihren Angeboten einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. (…) Ihre Angebote haben der Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen. Sie haben Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten. Auch Unterhaltung soll einem öffentlich-rechtlichen Angebotsprofil entsprechen.

(2) Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben bei der Erfüllung ihres Auftrags die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit ihrer Angebote zu berücksichtigen“.

Um diesen nicht-kommerziell orientierten Auftrag sicherzustellen, ist dem ÖRR die feste Finanzausstattung in Form des Rundfunkbeitrags gesetzlich in Paragraph 11 und 12 des Staatsvertrages zugesichert (vgl. ebd., S. 24). Anders als die kommerziellen Anbieter unterliege der ÖRR allerdings starken Regulierungen in Bezug auf das Programm und mögliche Werbung, was tendenziell für höhere Kosten und geringere Einnahmen spreche (vgl. Beck 2018, S. 286). Trotz dieser Limitationen des ÖRR entbrennen um diesen festen Finanzierungsrahmen zunehmend Diskussionen und Verärgerungspotenziale. Dies zeigt sich in alltagsähnlichen Situationen beim Umzug in eine neue Wohnung, aber eben auch in einem europaweiten Diskurs. Die öffentlich-rechtlichen Anbieter in Ungarn und Polen entwickelten sich in den vergangenen Jahren zu Staatsorganen (vgl. Grassmuck 2018, S. 313). Die dänische Regierung beschloss die Umstellung von der Rundfunkabgabe zu einer Finanzierung über Steuern, was den ÖRR ebenfalls unter direktere politische Kontrolle stelle (vgl. ebd.). In einer Volkabstimmung 2018 hat sich die Schweiz mit großer Mehrheit gegen die Abschaffung des Billag – dem Pendant zum deutschen Beitragsservice – ausgesprochen (vgl. ebd.). Dies ist ein Mutmacher inmitten bewegter Zeiten. Zumal die Auswertung laut Volker Grassmuck (vgl. ebd.) demonstriert habe, dass insbesondere die junge Generation eindeutig für den Erhalt des Billag votierte.

Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen ist die Entscheidung der Schweizer Bevölkerung eine wichtige Voraussetzung für die Erfüllung des Funktionsauftrags. So fanden Eberwein et al. (2019, S. 143) heraus, „dass die Finanzierung öffentlicher Medien einen direkten Einfluss auf den Publikumserfolg hat: Rundfunkveranstalter mit einer höheren öffentlichen Finanzierung erzielen höhere Marktanteile, eine größere Relevanz als Informationsquelle und ein höheres Vertrauen in die Unabhängigkeit von äußeren Einflüssen“. In der Recherche herrschte literaturübergreifender Konsens, dass alternative Modelle wie beispielsweise ein Gebühren-Splitting mit privaten Anbietern oder Abomodelle für den ÖRR aufgrund ökonomischer und rechtlicher Problemstellungen keine fruchtbaren Optionen darstellen (vgl. Dörr et al. 2016, S. 67 f.; vgl. Grassmuck 2018, S. 314 f.). Daher bewerte ich es als umso bedenklicher, wenn die kommerziellen, privaten Anbieter immer wieder Eingrenzungen und budgetäre Beschränkungen des ÖRR fordern (vgl. Beck 2018, S. 246; vgl. Rau 2019, S. 39). Schließlich sind diese Privatsender neben den klassischen Einnahmen wie Werbung und Sponsoring ohne große Einschränkungen in der Lage, Senderfamilien zu gründen (vgl. Beck 2018, S. 276). Dies unternehmen deutsche Sender umfänglich und legen damit Kostenstellen zusammen (vgl. ebd.). Außerdem liegen die kumulierten Marktanteile der öffentlich-rechtlichen und privaten Sender in Deutschland auf einem sehr ähnlichen Niveau (vgl. Beck 2018, S. 287), sodass von einem sich ergänzenden Miteinander ausgegangen werden kann. Die wachsende Kritik vonseiten der privaten Anbieter erhält zudem Skurrilität, wenn Patrick Donges (vgl. 2016, S. 90) darauf hinweist: „Die Erfüllung des Funktionsauftrages durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist (…) die Voraussetzung der Zulassung privat-kommerzieller Anbieter – ein Fakt, der in medienpolitischen Debatten mitunter verloren geht“. Ohne einen funktionierenden ÖRR kann verfassungsrechtlich demnach kein privater Rundfunk existieren. Mit diesen Argumenten möchte ich an die kommerziellen Rundfunkanbieter appellieren, sich diese Ausgangssituation stärker bewusst zu machen und den ÖRR nicht aus rein marktlichen Gesichtspunkten, sondern mit Blick auf die gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu betrachten. Es braucht ein duales Rundfunksystem, das sich gegenseitig stützt, die Stärken und Schwächen des jeweils anderen Modells ideal komplementiert. Allerdings ist dem ÖRR an dieser Stelle ebenfalls ein Vorwurf zu machen, sich mit einer Vielzahl von unterhaltenden Talkshows und Serien zu stark in das Hoheitsgebiet der privaten Sender begeben zu haben (vgl. Beck 2018, S. 287 f.). Mit Beck (2018, S. 221) lässt sich ein differenziertes Resümee dieses Abschnitts ziehen: „Auch die öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramme zeigen mittlerweile viele der für die kommerziellen Programme geschilderten Strukturen, was als Ergebnis von Programmkonvergenz und Anpassung an veränderte Publikumserwartungen begriffen werden kann. Aufgrund ihres Funktionsauftrages unterhalten die öffentlich-rechtlichen Anstalten aber in weitaus stärkerem Maße journalistisch arbeitende Redaktionen mit einem publizistischen Qualitätsanspruch, der sich nicht nur auf die Hauptnachrichtensendungen beschränkt“.

Mediennutzung der Jüngeren stellt den ÖRR vor Herausforderungen

Mit dem Stichwort „veränderte Publikumserwartungen“ nimmt Klaus Beck dankenswerterweise die Überleitung zum nächsten großen Themenkomplex vor, welcher für eine adäquate Bestandsaufnahme des ÖRR – vornehmlich in Bezug auf Deutschland – unabdingbar ist: Die aktuelle Mediennutzung der Bevölkerung. Mit einem allgemeinen Blick auf die Nutzung von Video- und Audio-Formaten ist zu konstatieren, dass der Großteil der Deutschen lineare Angebote nutzt (vgl. ARD-/ZDF-Studie Massenkommunikation 2020, S. 3). In der Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen offenbart sich jedoch ein gegenläufiger Trend. Nicht-lineare Verbreitungwege wie Streaming-Anbieter oder YouTube dominieren im Video-Sektor, Musik-Streamingdienste wie Spotify liegen vor Radiosendern bei den unter 30-Jährigen (vgl. ebd.). Insgesamt zeichnen sich allgemeine Reichweitenverschiebungen hin zu entlinearisierten Angeboten ab (vgl. ebd., S. 13). Zu dieser Erkenntnis kommen auch Jörg Schneider und Mark Eisenegger in der Schweiz, die die Newsreportoires der 16- bis 29-Jährigen im Zeitraum von 2009 bis 2017 untersuchten. Dabei stellen sie fest, dass der Anteil der News-Deprivierten und Global Surfer stark zunehme (vgl. Schneider & Eisenegger 2018, S. 93). Diese beiden Gruppen informierten sich vor allem über (soziale) Online-Medien und seien durch eine eher unterdurchschnittliche Nutzung qualitativ hochwertiger Nachrichtenmedien gekennzeichnet (vgl. ebd.). Auch Dörr et al. (2016, S. 24) analysieren eine gewisse Fragmentierung des Medienpublikums: „Die 14- bis 49-Jährigen und erst recht die 14- bis 29- Jährigen wenden sich in immer größerem Maß den privaten Programmen und Abrufangeboten zu, sodass man durchaus von einem Generationenabriss zu Lasten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens sprechen kann. Hinzu kommen spezifische Fragmentierungstendenzen durch die Möglichkeiten der Internetkommunikation, die den gesellschaftlichen Diskurs verändern“.

Die aktuelle ARD-ZDF-Studie „Massenkommunikation 2020“ sendet neben dieser großen Herausforderung mit Blick auf das Publikum jedoch ebenso positive Nachrichten: Demnach liegen öffentlich-rechtliche Medien – anders als Dörr et al. befürchten – in fast allen Bewertungskategorien vor den Privatsendern. Sie werden als glaubwürdigste Quelle eingestuft und stehen für relevante Themen. Die öffentlich-rechtlichen Medien gelten als wichtigste Informationsinstanz für politische Inhalte, auch bei jungen Menschen. Und, das kommt durchaus überraschend, sie bilden insgesamt das vielseitigste und ausgeglichenste Angebotsprofil für Audio- und TV-Formate ab. Die Privatsender und globale Plattformen punkten gegenüber dem ÖRR im Unterhaltungsbereich mit passgenauen Inhalten (vgl. ARD-ZDF-Forschungskommision 2020, S. 43-50). Forschung aus Österreich legt nahe, dass eine Unterscheidbarkeit zu privaten Sendern als wichtiges Bewertungskriterium des ÖRR aus Sicht des Publikums gilt (vgl. Gonser & Reiter 2018, S. 151). Dort komme außerdem eine hohe Relevanz und Wertschätzung des ÖRR zum Ausdruck, wenn es um Vielfalt, Informationsüberblick, regionale Berichterstattung und Randthemen gehe (vgl. ebd., S. 156). Unterhaltungsformate von öffentlich-rechtlichen Medien werden hingegen als Absenkung der Qualität für eine höhere Quote kritisch bewertet (vgl. ebd., S. 151). Alarmierend ist die Tatsache, dass der ÖRR vor allem, aber nicht nur bei jüngeren Menschen die geringsten Werte für Unabhängigkeit verbucht (vgl. ARD-ZDF-Forschungskommision 2020, S. 43 f.). Die Haupterklärung dafür dürfte in zugeschriebener politischer Einflussnahme innerhalb der Kontrollgremien und in Bezug auf Personalentscheidungen liegen (vgl. Gonser & Reiter 2018, S. 159 ff.; vgl. Beck 2018, S. 238 f.; vgl. Donges 2016, S. 92; vgl. Jarren 2020, S. 246).

„funk“ als wichtiger Schritt in der Digitalstrategie

Aus den Erkenntnissen der Massenkommunikation-Studie wird deutlich, dass sich das mediale Internet zur dominierenden Nutzungsform in der jungen Zielgruppe entwickelt hat (vgl. ebd., S. 38). Diesen Trend haben die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland erkannt und zumindest teilweise geeignete Maßnahmen getroffen. An vorderster Front zu nennen ist dabei das von ARD und ZDF gemeinsam ins Leben gerufene Jugendangebot „funk“. Dabei spielen die Macher*innen der Plattform die Inhalte mit einer auf die jungen Zielgruppe zugeschnittenen Strategie aus: „Wir wollen mit unseren Inhalten Menschen zwischen 14 und 29 erreichen. Das können wir natürlich nicht mit ein und demselben Angebot. Denn eine 14-jährige Schülerin sucht im Netz nach anderen Dingen als ein 29-jähriger Berufstätiger. Deswegen produzieren wir unterschiedliche Formate für Menschen mit unterschiedlichen Interessen – und lassen funk für jeden etwas anders aussehen“ (Funk 2021). Die Jugendausgabe des ÖRR ist neben der eigenen Webseite nur über Intermediäre wie YouTube, Snapchat und Facebook verfügbar (vgl. Stark & Steiner 2018, S. 85). Sie soll als Innovationstreiber für die im Rundfunkstaatsvertrag festgeschriebenen Bereiche Bildung, Information, Unterhaltung und Beratung fungieren (vgl. ebd.). Video als Kernmedium, eine ausgeprägte Feedbackkultur und Kooperationen mit Influencern sind fester Teil der Strategie (vgl. ebd.). Den Nutzer*innen ist es zudem möglich, sich mit eigenen Formatideen bei „funk“ zu bewerben und so das Angebot selbst mitzugestalten (vgl. Funk 2021). Birgit Stark & Miriam Steiner (2018, S. 86) sehen in dem Jugendangebot einen „Paradigmenwechsel, denn als Content-Netzwerk für Webformate löst es sich komplett vom Gedanken des klassischen linearen Fernsehens und damit vom Gedanken eines vorgegebenen Fernsehprogramms“. Dass eine solche Plattform überhaupt geschaffen werden konnte, machten erst veränderte Rahmenbedingungen im Rundfunkstaatsvertrag möglich. Dort wurden zentrale Beschränkungen wie der Drei-Stufen-Test zur Bestimmung des gesellschaftlichen Mehrwertes und Verweildauerbeschränkungen für Telemedienangebote in Bezug auf die Spezifika des Jugendmediums „funk“ aufgehoben (vgl. ebd., S. 84 ff; vgl. RStV, S. 21 ff.). Das in Paragraph 11g geregelte Jugendangebot solle die Lebensrealität der jungen Zielgruppe abbilden und damit seinen Beitrag zur Erfüllung des Funktionsauftrags leisten (vgl. RStV, S. 23). Mit Stark & Steiner (vgl. 2018, S. 89) lässt sich „funk“ trefflich als eine schmale Gratwanderung zwischen den normativen Anforderungen an den ÖRR und einer inidividuellen, unterhaltungsorientierten Logik von Online-Plattformen beschreiben. Ich sehe in diesem Jugendangebot grundsätzlich einen essenziellen Schritt für den ÖRR, sich stärker an den Interessen der 14- bis 29-Jährigen zu orientieren und diese auf eine passgenaue Art mit Inhalten zu versorgen. Eine begleitende Recherche auf Facebook unterstreicht aber, dass der Unterhaltungsaspekt nicht zu sehr ausgereizt werden darf – Videos wie „Alman im Home Office“ oder „33 Zungenküsse in 3 Stunden“ erscheinen mir per se noch nicht gemeinwohlförderlich. Problematisch könnte die schwierige Sichtbarkeit des Formates sein, da „funk“ auf den ersten Blick noch keine Verbindung zu ARD und ZDF suggeriert. Außerdem geben die beiden öffentlich-rechtlichen Anbieter die Beitragsselektion in die Hände der Intermediäre, die die Inhalte von „funk“ auf Basis von Algorithmen distribuierten (vgl. Stark & Steiner 2018, S. 88) – und spielen damit ihren größten und gefährlichsten Kontrahenten in die Karten.

Intermediäre treiben den ÖRR in die Enge

Die Bedrohung durch andere global player auf dem digitalen Medienmarkt betrifft dabei auch die privaten Sender: „Neue Akteure und Angebotsformen, insbesondere Plattformen und Intermediäre entziehen dem Werbemarkt Investitionen, die nicht mehr für die Journalismus-Finanzierung zur Verfügung stehen. Gleichzeitig erzeugen sie algorithmisch oder durch die Bündelung von User Generated Content ein Angebot, das möglichweise von Teilen der Öffentlichkeit als funktionales Äquivalent zu journalistisch produzierten Nachrichten und Kommentaren angesehen wird und durchaus informierend sowie meinungsbildend wirken kann“ (Beck 2018, S. 351). Diese extreme Konkurrenz auf dem Werbemarkt könnte eine Erklärung dafür sein, warum Presse und privater Rundfunk neidische Blicke auf die krisensichere Finanzierung des ÖRR werfen. Doch genau genommen sind alle drei Angebotsformen von Intermediären bedroht. Denn diese böten Internet-Nutzer*innen bereits heute eine zentrale Orientierungsfunktion und setzten sich damit gegen etablierte Medienanbieter durch (vgl. Seufert 2017, S. 24). Diese Befunde sind insbesondere für den ÖRR dramatisch, gefährden sie doch die gesellschaftliche Legitimation des Funktionsauftrags. Wenn Plattformen zunehmend als Gatekeeper für die Entstehung und Ausgestaltung der digitalen Öffentlichkeit aus Sicht des Publikums eingeschätzt werden (vgl. Dobusch 2018, S. 308 ff.), braucht es einen ÖRR, der dieser Entwicklung entschlossen entgegensteuert. Das Kerngeschäft der Plattformen liegt nämlich lediglich darin, fremde Inhalte zugänglich zu machen (vgl. Dörr et al. 2016, S. 16 f.). Sie ermöglichten einerseits attraktive Veröffentlichungs- und Kreativitätsspielräume für nicht-kommerzielle Akteure, andererseits stelle die algorithmische Filterung von Inhalten eine Gefahr dar (vgl. Dobusch 2018, S. 308 ff.). Die Automatismen dieser digitalen Plattformen können getrost als Gegenpol des Funktionsauftrags des ÖRR bezeichnet werden, denn es komme „ (…) schnell zu einer Entfremdung zu anderen Lebensmilieus, insbesondere auch zu einer gewissen politischen und kulturellen Isolierung (…)“ (Dörr et al. 2016, S. 17). Auch wenn die an ökonomischen Zielen interessierten Intermediäre wie Google gewisse Informationsgrenzen aufhöben, schränkten sie durch den finanziell beeinflussbaren Algorithmus Meinungsvielfalt und Chancengleichheit ein (vgl. Gundlach 2020, S. 130 f.). Insbesondere Google steht dabei im Mittelpunkt der Betrachtung. Das US-amerikanische Unternehmen könne über die algorithmische Organisation von Suchanfragen großen Einfluss auf die gesellschaftliche Meinungsbildung nehmen (vgl. ebd., S. 133). Aus der ARD/ZDF-Langzeitstudie Massenkommunikation (vgl. 2020, S. 57) geht zudem hervor, dass ein Großteil der Befragten in Zukunft zunehmenden Einfluss von Google & Co. erwartet und überdies die steigende Gefahr von Filterblasen prognostiziert.

„Diese Entwicklungen muss zur Kenntnis nehmen, wer sich heute daranmachen will, eine Medienordnung auf der Höhe der digitalen Zeit zu gestalten. Denn natürlich brauchen die überkommenen Regeln, nach denen wir das bislang journalistisch vermittelte gesellschaftliche Gespräch gestalten,eine Erneuerung im Angesicht neuer technologischer Möglichkeiten“, bringen Carsten Brosda und Wolfgang Schulz (2020, S. 13) auf den Punkt.

Implikationen für eine zukünftige, zwingend zukunftsfähige Ausrichtung des ÖRR

Die dargestellten Entwicklungen der vergangenen Jahre und Monate tangieren die zukünftige, zwingend zukunftsfähige Ausrichtung des ÖRR massiv. Der Begriff Neugestaltung ist mir dafür zu hoch gegriffen und verkennt die bereits existierenden Anstrengungen des ÖRR. Vielmehr benötigt es ein zeitgemäßes Update in mehreren Bereichen und ausgehend von diversen Akteursgruppen. Mit der vorgestellten Wissensbasis und einigen Lösungsansätzen aus der Literatur ergeben sich folgende, nach Oberbegriffen geordnete Implikationen für den ÖRR und die Medienpolitik der Zukunft:

Dynamische, zeitgemäße Medienpolitik zur Entfaltung des ÖRR

Im Sinne von Brosda & Schulz (vgl. 2020, S. 13) plädiert dieser Beitrag für eine Flexibilisierung des Funktionsauftrags, der den öffentlich-rechtlichen Akteuren mehr Freiheit und Eigenverantwortung einräumt. Die Qualitätskriterien des ÖRR sollten nicht an bestimmte Verbreitungswege gekoppelt werden (vgl. ebd.). Die einleuchtende Forderung nach einer Anpassung des Funktionsauftrags an die Gegebenheiten der Digitalisierung forderte auch der Akteurszusammenschluss „Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien“. Diese sprachen sich unter anderem für eine Abschaffung der Löschfrist für bestimmte Sendungen, die erlaubte Verwendung presseähnlicher Inhalte und eine Erweiterung des Archivauftrags der öffentlich-rechtlichen Sender aus (vgl. Zukunft Öffentlich-Rechtliche 2018, S. 2). Weiter schreibt die Initiative hinsichtlich der Weiterentwicklung im Bereich der Telemedien: „Der Gesetzgeber sollte sich darauf beschränken, dafür ein Verfahren bereit zu stellen, das sowohl die Beteiligung Betroffener als auch der Öffentlichkeit gewährleistet und – unter Wahrung europäischer Vorgaben – deutlich unaufwändiger ist als der bisher vorgesehene Drei-Stufen-Test“ (ebd.). Im 22. Rundfunkstaatsvertrag haben sich die Länder solchen Anpassungen bereits angenommen und analog zum Jugendangebot „funk“ flexiblere Gestaltungsrichtlinien für den ÖRR festgelegt (vgl. Grassmuck 2020, S. 66). Dies erscheint als wichtiger Schritt, um in Zukunft innovative, junge, online-zentrierte Angebote flexibler in das Portfolio des ÖRR aufzunehmen. Zudem empfinde ich den Vorschlag sinnvoll, den ÖRR im Vergleich zu Intermediären medienpolitisch zu privilegieren, wenn es um die Verbreitung der Inhalte auf diesen Plattformen geht (vgl. Dörr et al., S. 64 f.). Eine solche dynamische und zeitgemäße Medienpolitik dürfte in Zeiten massiver politischer, gesellschaftlicher und technologischer Transformationen die Grundvoraussetzung für einen funktionierenden ÖRR im Netz bilden – stets unter Wahrung und in Abgleich des in Paragraph 11 festgeschriebenen Funktionsauftrags!

Experimentierfreude als strategischer Part des ÖRR

Der ÖRR sollte die von einigen Autor*innen angeregte Idee eines nationalen und europäischen Public Open Space wagen (vgl. Mitschka & Unterberger 2018, Vorwort; vgl. Dörr et al. 2016, S. 95 f.; vgl. Grassmuck 2020, S. 79 f.). Diese impliziert eine Vernetzung mit Einrichtungen wie Museen sowie anderen Kultur- und Bildungsinstitutionen (vgl. Dörr et al. 2016, S. 95 f.). Dort könnten unter Federführung des ÖRR kultur-relevante Inhalte und Angebote gebündelt werden. Als Vorbild dient dabei beispielsweise die europäische Plattform Europeana (vgl. Grassmuck 2020, S. 80). Eine Kooperation mit der einer ähnlichen Logik des ÖRR folgenden Wissensplattform Wikipedia, die sich auch unter uns jungen Menschen großer Beliebtheit erfreut, wurde mit Bewegtbild-Inhalten von Terra X (ZDF) zum Thema Erderwärmung bereits durchgeführt (vgl. ebd., S. 80 f.). Dies ist ein sinnvoller Ansatz, um den Funktionsauftrag digital mit Leben zu füllen und sich mit anderen Plattformen zu vernetzen. Vor allem kann es außerdem ansatzweise bedeuten, die Abhängigkeit von Intermediären wie YouTube zu verringern. Zusätzlich lohnt sich ein Blick nach Großbritannien zur BBC, die in Deutschlands Rundfunkhistorie ohnehin eine maßgebliche Rolle spielt. Dort werden den Nutzer*innen unter anderem zeitsouveräne Zugriffe auf Mediatheken und die Verwendung des mobilen Videoportals iPlayer mit Feedbackfunktion ermöglicht (vgl. Dörr et al., S. 74 f.). Zudem baute die BBC eine eigene Online-Plattform für medienübergreifende Inhalte mit hoher Qualität auf, schuf ein Netzwerk von Reportern zur Unterstützung des Lokaljornalismus sowie einen Hub für lokalen Datenjournalismus (vgl. ebd., S. 78 f.). Die ausgekoppelte Plattform BBC Audio Sounds, die unter anderem ein breites Podcast-Angebot bietet, meldete im vergangenen Jahr Rekordzahlen (vgl. Scheele 2020). Well played! An diesem starken Beispiel könnten sich die öffentlich-rechtlichen Anbieter in Deutschland orientieren und die digitale Spielwiese in Vereinbarung mit dem Funktionsauftrag umfänglicher und kreativer nutzen. Dabei ist ein wichtiger positiver Nebeneffekt in Aussicht, der die Abgrenzung zu Intermediären vereinfachen könnte: Die Stärkung der eigenen Medienmarken ARD, ZDF und Deutschlandradio. Nach Hardy Gundlach (vgl. 2020, S. 138) fungierten starke Brands als Vertrauensanker für Rezipient*innen, die bei der Suche nach Informationen eine feste und verlässliche Anlaufstelle bevorzugten.

Medienkompetenz fördern, Nutzer*innenverantwortung stärken

Insbesondere junge Menschen, die in diesem digitalen Medienmarkt mit zahlreichen Intermediären und Streaming-Anbietern aufwachsen, sollten zusätzlich die Perspektiven öffentlich-rechtlicher Anbieter in ihr Medienreportoire aufnehmen. Um dies zu gewährleisten, bedarf es der Förderung von Medienkompetenz: „Mediennutzerinnen und -nutzer benötigen eine fundierte Medienkompetenz, um sie im Gedanken des Public Value in ihrer Doppelrolle als Rezipientin/Rezipient und Bürgerin/Bürger zu stärken, die Public-Value-Medien nutzen und fordern“ (Gonser 2018, S. 3). Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass dieses Thema an Schulen viel zu kurz kommt. Medienkompetenz im digitalen Zeitalter sollte mindestens Berücksichtigung im Politikunterricht finden, wenn nicht sogar als eigenes Fach angeboten werden. In den Bildungsinstitutionen muss zwingend das grundlegende Verständnis für die Bedeutung journalistischer und öffentlich-rechtlicher Medien für die Ausgestaltung demokratischer Prozesse gelegt werden (vgl. Schneider & Eisenegger 2018, S. 106). Mediensozialisation und damit einhergehende Nutzungsroutinen gelten schließlich als prägende Prozesse für späteres Rezeptionsverhalten (vgl. Gonser & Reiter 2018, S. 153). Sind die Grundlagen für Medienkompetenz flächendeckend gelegt, entscheiden die Nutzer*innen über die Anwendung des gesammelten Wissens. Daher ist an sämtliche (junge) Medienrezipient*innen zu appellieren, sich über die Auswirkungen ihres medialen Konsums bewusst zu werden und die von Nicole Gonser beschriebene Doppelrolle anzunehmen. Denn sie sind es, die durch ihr konkretes Nutzungsverhalten und die Nachfrage maßgeblich zur Ausgestaltung des Mediensystems beitrugen (vgl. Beck 2018, S. 349).

Mehr Partizipation in Entstehungsprozessen, mehr Transparenz und Vielfalt in Entscheidungsprozessen

Eine stärkere Partizipation der Rezipient*innen innerhalb der Entstehungsprozesse des ÖRR ist in der Literatur nahezu Konsens. Dieses Streben geht von der Annahme aus, dass neben den klassischen Codes der Massenmedien eine sozialmediale Komponente, die Feedback- und Austauschmöglichkeiten beinhaltet, gravierend an Bedeutung gewinnt (vgl. Rau 2019, S. 52 f.). Spannend und logisch zugleich ist der Vorschlag von Christopher Buschow, sich an journalistischen Start-Ups zu orientieren. Er unterscheidet zwischen zwei Formen der Beteiligung: Mitarbeit innerhalb der Themenselektion und Konversationsjournalismus (vgl. Buschow 2018, S. 33). Für den ÖRR ergibt erstere Option Sinn. Nutzer*innen könnten an Redaktionssitzungen teilnehmen und aktiv Themenwünsche einbringen (vgl. ebd.). Die konkrete Recherche und Endergebnisse lägen weiterhin in den Händen der ausgebildeten Spezialist*innen des ÖRR (vgl. ebd.). Ein weiterer Ansatzpunkt wäre für mich die Schaffung von Synergien zwischen dem ÖRR und Bürgermedien. Beck (vgl. 2018, 273 f.) berichtet, dass letztere nicht professionell produzierten und über ihre Abschaffung diskutiert werde. Warum sollte der ÖRR nicht beispielsweise auf einer zentralen Plattform im Internet Bürgermedien unterstützen, während diese als optimaler Spiegel für gesellschaftlich relevante Themen fungieren? Das riecht nach einer Win-Win-Situation für beide Seiten. Klaus Meier (2018, S. 37) fasst die Kernidee der Partizipationsbefürworter*innen unter der Formel „Unser aller Rundfunk“ zusammen: „Sie enthält vielerlei Potenzial für neue redaktionelle Ideen, die nicht nur einseitige Vorstellungen von Demokratie und Öffentlichkeit in der digitalen Medienwelt verfolgen, sondern sowohl partizipativ und dialogorientiert umfassende Beteiligungsmöglichkeiten vieler Akteure am öffentlichen Diskurs eröffnen, als auch liberal-repräsentative Modelle mit der Sehnsucht nach Orientierung, Verlässlichkeit und Aufklärung umsetzen und mit Leben füllen“.

Die Forderung nach stärkerer Transparenz innerhalb der Entscheidungsprozesse ist insbesondere auf die Kontrollgremien des ÖRR gemünzt. Diese sollten dialogorientierter agieren und beispielsweise offene Tagungen abhalten (vgl. Meier 2018, S. 36; vgl. Zukunft Öffentlich-Rechtliche 2018, S. 3). Ferner empfiehlt dieser Beitrag eine Entpolitisierung der Kontrollgremien, die sich in einer ausgewogeneren und staatsferneren Zusammensetzung widerspiegeln würde. Hierfür können die Anregungen eines Kommunikationsrates (vgl. Jarren 2020, S. 258) und eines gesellschaftlichen Kontrollgremiums (vgl. Donges 2016, S. 92) aufgegriffen werden. Damit ginge gleichzeitig eine stärkere Vielfalt in Entscheidungsprozessen einher. Diese könnte außerdem durch eine diversifiziertere Charakterstruktur in Redaktionen intensiviert werden (vgl. Pörksen 2018, S. 48) – so, wie es beispielsweise „funk“ in der Praxis umgesetzt hat. Ein essenzieller Ansatz für eine höhere Akzeptanz des ÖRR besteht für mich abschließend in einer transparenteren Information über den Rundfunkbeitrag. Damit sind wir am Ausgangsbeispiel angekommen: Der Beitragsservice von ARD, ZDF und Deutschlandradio sollte bereits in seinem Einziehungsanschreiben ausführlich darstellen, wie sich die monatliche Abgabe zusammensetzt und in welche Bereiche sie konkret investiert wird. Exemplarisch dafür sei auf die Ausführungen von Volker Grassmuck (vgl. 2020, S. 52-57) hingewiesen, der die Kostenstellen Personal, Programm und Organe übersichtlich erklärt und auch die Vorteile für Verweigerer des ÖRR eindrücklich zusammenfasst.

Plädoyer für einen starken ÖRR innerhalb einer dynamischen Medienpolitik

Diese Seiten von Grassmuck haben mir jedenfalls sehr dabei geholfen, die Beitragsfinanzierung besser zu verstehen. Ich habe sie sogleich an meinen Mitbewohner weitergeleitet und bin gespannt auf seine Antwort. Für mich steht fest, dass sich das Duale Rundfunk-Modell mit binnen- und außenpluralistischer Sicherstellung von Vielfalt  bewährt hat – ebenso wie die feste Finanzierung. In diesen politisch, gesellschaftlich und technologisch bewegten Zeiten braucht es vielleicht sogar mehr denn je einen gestärkten ÖRR als einordnende, demokratiefördernde Instanz. Mit einer dynamischen Medienpolitik und weiteren Anstößen aus Wissenschaft, IT und Medienbranche ergeben sich dem ÖRR darüber hinaus vielfältige Möglichkeiten, sein Angebot konsequent an einer dem Funktionsauftrag gerecht werdenden Digitalstrategie auszurichten. Gelingt dem ÖRR in Deutschland dieser Spagat, ist es zumindest möglich, dass er die Diskussionen um seine Legitimitätsgrundlage künftig auch in Alltagssituationen zumindest in geringerem Ausmaß führen darf.

Literatur

ARD ZDF Deutschlandradio Beitragsservice (2020): Für alle – von allen: Der Rundfunkbeitrag. Privates Anschreiben zur Erhebung des Rundfunkbeitrags.

ARD ZDF-Forschungskommision (2020): ARD/ZDF-Massenkommunikation 2020. Online verfügbar unter https://www.ard-zdf-massenkommunikation.de/files/Download-Archiv/MK_2020/MK_2020_Publikationscharts_final.pdf , abgerufen am 04.02.2020.

Arnold, Klaus (2016): Qualität des Journalismus. In: M. Löffelholz, L. Rothenberger (Hrsg.), Handbuch Journalismustheorien (S. 551-563). Wiesbaden: Springer Fachmedien.

BBC (2021): Mehrere Reiter und Themengebiete der Webseite. Siehe Verlinkungen im Text. Online verfügbar unter https://www.bbc.com/ , abgerufen am 10.02.2021.

Beck, Klaus (2018): Das Mediensystem Deutschlands. Strukturen, Märkte, Regulierung. Wiesbaden: Springer Fachmedien.

Buschow, Christopher: Was der öffentlich-rechtliche Rundfunk von journalistischen Start-ups lernen kann. Zur Zusammenarbeit von Neugründungen mit ihrem Publikum. In: N. Gonser (Hrsg.), Der öffentliche (Mehr-)Wert von Medien. Public Value aus Publikumssicht (S. 23-40). Wiesbaden: Springer Fachmedien.

Bundesländer Deutschlands (2019): Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien (Rundfunkstaatsvertrag) vom 31. August 1991, zuletzt geändert durch den Zweiundzwanzigsten Rundfunkänderungsstaatsvertrag vom 15. – 26. Oktober 2018. Online verfügbar unter https://www.mdr.de/unternehmen/informationen/dokumente/staatsvertrag-rundfunk-telemedien-rundfunkstaatsvertrag100-downloadFile.pdf, abgerufen am 04.02.2021.

Dobusch, Leonhard (2018): Demokratisch-mediale Öffentlichkeiten im Zeitalter digitaler Plattformen. In In K. Mitschka & K. Unterberger (Hrsg.), Public Open Space. Zur Zukunft öffentlich-rechtlicher Medien (S. 308-312). Wien, facultas Verlag.

Donges, Patrick (2016): Funktionsaufträge des Rundfunks. In J. Heesen (Hrsg.), Handbuch Medien- und Informationsethik (S. 89-95). Stuttgart, J. B. Metzler Verlag.

Dörr, Dieter, Holznagel, Bernd & Picot, Arnold (2016): Legitimation und Auftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Zeiten der Cloud. Online verfügbar unter https://www.zdf.de/assets/161007-gutachten-doerr-holznagel-picot-100~original , abgerufen am 06.02.2021.

Eberwein, Tobias, Saurwein, Florian & Karmasin, Matthias (2019): Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Europa: ein kennzahlenbasierter Vergleich zum Verhältnis von Finanzierung und Publikumsleistungen. In: M. Heimbach-Steins (Hrsg.): Öffentlich-rechtliche Medien – Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften, Band 60 (S. 141–167). Münster: Aschendorff Verlag.

Eisenegger, Markus & Schneider, Jörg (2018): Newsrepertoires junger Erwachsener Mediennutzung und Politikwahrnehmung im Wandel. In: N. Gonser (Hrsg.), Der öffentliche (Mehr-)Wert von Medien. Public Value aus Publikumssicht (S. 93-107). Wiesbaden: Springer Fachmedien.

Filipović, Alexander (2019): Öffentlichkeitsbegriff und Gemeinwohlrelevanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Eine sozial- und medienethische Perspektive. In: M. Heimbach-Steins (Hrsg.): Öffentlich-rechtliche Medien – Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften, Band 60 (S. 87–112). Münster: Aschendorff Verlag.

Funk (2021): Webseite des Jugendangebotes von ARD und ZDF. Online verfügbar unter https://www.funk.net/funk, abgerufen am 04.02.2021.

Gonser, Nicole (2018): Zur Bedeutung von Public-Value-Medien für das Publikum. Eine Einleitung. In: N. Gonser (Hrsg.), Der öffentliche (Mehr-)Wert von Medien. Public Value aus Publikumssicht (S. 1-8). Wiesbaden: Springer Fachmedien.

Gonser, Nicole & Reiter, Gisela (2018): Öffentlich-rechtliche Medienangebote und die Haltung des Publikums. In: N. Gonser (Hrsg.), Der öffentliche (Mehr-)Wert von Medien. Public Value aus Publikumssicht (S. 151-165). Wiesbaden: Springer Fachmedien.

Grassmuck, Volker (2018): Für eine europäische Plattform in Public Partnership. In K. Mitschka & K. Unterberger (Hrsg.), Public Open Space. Zur Zukunft öffentlich-rechtlicher Medien (S. 313-319). Wien, facultas Verlag.

Grassmuck, Volker (2020): Öffentlich-Rechtliche Medien. Auskunft zu einigen häufig gestellten Fragen. Eine Publikation der Heinrich-Böll-Stiftung, Juni 2020. Online verfügbar unter https://www.boell.de/de/2020/06/30/oeffentlich-rechtliche-medien, abgerufen am 04.02.2021.

Gundlach, Hardy (2020): Brauchen wir eine öffentlich-rechtliche Suchmaschine? Zum Wettbewerb im Online-Informationsmarkt und strategische Optionen für Public-Service-Medien. In: N. Gonser (Hrsg.), Der öffentliche (Mehr-)Wert von Medien. Public Value aus Publikumssicht (S. 129-150). Wiesbaden: Springer Fachmedien.

Hanfeld, Michael (2020): Uns droht ein Plattformschutzgesetz. Fragen an den Präsidenten des Presselegerverbands, Mathias Döpfner. In Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 284, Ausgabe vom 05.02.2020, S. 16. Frankfurt: Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH.

Jarren, Otfried (2020): Verantwortungskultur in der Kommunikationsgesellschaft: Kommunikationspolitik – als Ansatz zur Ausgestaltung der digitalen Medienwelt. In A. Seibert-Fohr (Hrsg.), Entgrenzte Verantwortung: Zur Reichweite und Regulierung von Verantwortung in Wirtschaft, Medien, Technik und Umwelt (S. 241-261). Berlin: Springer Verlag GmbH.

Kops, Manfred (2016): Der Rundfunk als privates und öffentliches Gut. In: Arbeitspapiere des Instituts für Rundfunkökonomie an der Universität zu Köln, Nr. 307 (S. 5-33). Online verfügbar unter http://www.rundfunk-institut.uni-koeln.de/, abgerufen am 09.02.2021.

Meier, Klaus (2018): Unser aller Rundfunk. In K. Mitschka & K. Unterberger (Hrsg.), Public Open Space. Zur Zukunft öffentlich-rechtlicher Medien (S. 35-37). Wien, facultas Verlag.

Mitschka, Konrad & Unterberger, Klaus (2018): Vorwort. In K. Mitschka & K. Unterberger (Hrsg.), Public Open Space. Zur Zukunft öffentlich-rechtlicher Medien. Wien, facultas Verlag.

Pörksen, Bernhard (2018): Die neue Macht des Publikums. In K. Mitschka & K. Unterberger (Hrsg.), Public Open Space. Zur Zukunft öffentlich-rechtlicher Medien (S. 38-49). Wien, facultas Verlag.

Rau, Harald (2019): Selbständerungsfähigkeit im deutschen Rundfunk. Systemtheoretisch motivierte Überlegungen zu einer zukunftsorientierten regulatorischen Eingriffslegitimierung. In: J. Krone & A. Gebesmair (Hrsg.), Zur Ökonomie gemeinwohlorientierter Medien (S. 37-56). Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft.

Scheele, Franz (2020): Podcast-Plattform der BBC meldet Rekordnutzung. In: Werben & Verkaufen. Online verfügbar unter https://www.wuv.de/medien/podcast_plattform_der_bbc_meldet_rekordnutzung, abgerufen am 10.02.2021.

Seufert, Wolfgang (2017): Das Internet und seine Konsequenzen für die medienökonomische Theorie. In W. Seufert (Hrsg.), Media Economics revisited. (Wie) Verändert das Internet die Ökonomie der Medien? (S. 9-32). Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft.

Siegert, Gabriele, Sommer, Christoph & von Rimscha, Bjørn (2018): Unterhaltung als öffentlich-rechtlicher Auftrag. In K. Mitschka & K. Unterberger (Hrsg.), Public Open Space. Zur Zukunft öffentlich-rechtlicher Medien (S. 225-241). Wien, facultas Verlag.

Stark, Birgit & Steiner, Miriam (2018): Public Network Value for the Next Generation am Beispiel von funk. Das neue Online-Jugendangebot. In: N. Gonser (Hrsg.), Der öffentliche (Mehr-)Wert von Medien. Public Value aus Publikumssicht (S. 77-92). Wiesbaden: Springer Fachmedien.

Süssenbacher, Daniela (2018): Der Journalismus und sein Publikum. Zwischen Attraktion und Beziehungsarbeit. In: N. Gonser (Hrsg.), Der öffentliche (Mehr-)Wert von Medien. Public Value aus Publikumssicht (S. 193-210). Wiesbaden: Springer Fachmedien. Zukunft-Öffentlich-Rechtliche (2018): Zur Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien – Offener Brief. Online verfügbar unter https://zukunft-öffentlich-rechtliche.de/, abgerufen am 08.11.2020.

KomMa im neuen Handbuch Medienökonomie: Meritorik als zentrales Kapitel!

Die österreichischen Medienökonomen Jan Krone und Tassilo Pellegrini haben ein Mammutwerk geschafft. Jetzt kam gleich in zwei Bänden das Handbuch Medienökonomie im Springer-Verlag heraus. Im Werk stecken nahezu zehn Jahre Arbeit. Und es zeigt sich: KomMa ist und bleibt in Deutschland eine wichtige Heimat für die Medienwirtschaft mit sowohl volks- als auch betriebswirtschaftlichen Bezügen. Spätestens die vorliegende Publikation macht es deutlich.

Harald Rau, Inhaber der KomMa-Professur, ist sehr prominent gleich im ersten Kapitel des ersten Bandes vertreten mit einem – aus seiner Sicht natürlich selbstverständlich erscheinenden – wichtigen und bedeutsamen Beitrag für die Medienökonomie: “Meritorik – eine Frage der Präferenzen” – so ist der Beitrag überschrieben und Rau entwickelt auf gut 25 Seiten ein umfassendes Konzept zur Medienmeritorik, das über bisher vorhandene Publikationen deutlich hinausweist.

Meritorik begründet vielfach Eingriffe des Gesetzgebers in das Mediensystem, ist damit auch ein wichtiges medienpolitisches Thema, wenngleich eine erfahrungswissenschaftliche Bestätigung bislang eher problematisch ist. Am weitesten hat in diesem Punkt möglicherweise die kritische Theorie gedacht, worin sich zeigt, dass Medienökonomie nie von gesellschaftstheoretischen Aspekten abgespalten werden kann. Vielmehr ist sie zentral für alles kommunkationswissenschaftliche Denken, vor allem dann, wenn es um Massenmedien oder Soziale Medien geht.

Im Buch gibt es übrigens ein Wiedersehen mit der gesamten Gemeinschaft forschender Medienökonomen im deutschsprachigen Raum – beeindruckend und bemerkenswert. Es ist ein wichtiges Buch, weil es die Medienökonomie auch aus ihrem Schattendasein herausführt, das sie angesichts kommunikationswissenschaftlicher Schwerpunkte der meisten Forscher lange Jahre führte.

Und dieses Buch zeigt, wie bedeutend Fachhochschulen sind, was die Forschungsleistung betrifft. Denn während an den Universitäten die Medienökonomie nach wie vor gegenüber anderen Disziplinen stark unterrepräsentiert ist, haben zahlreiche FH-Professuren beachtliche wissenschaftliche Erfolge erzielen können. KomMa zählt fraglos zu diesen.

Medienkompetenz bedeutet Teilhabe – Autorin: Karoline Steinbock

Das erste von insgesamt vier Essays, die sich damit auseinandersetzen, wie die Zukunft von Massenmedien und Sozialen Medien auch politisch verantwortlich gestaltet werden können. Karoline Steinbock nimmt hierfür den Begriff der Medienkompetenz in den Blick – und hinterfragt mit spitzer Feder, wie in einer zukunftsfähigen Gesellschaft verantwortungsvolle Mediennutzung gefördert werden kann.

Medienkompetenz bedeutet Teilhabe: Etablierung einer zivilgesellschaftlichen Medien- und Kommunikationspolitik

Unsere Medienlandschaft ist im Wandel. Neben klassischen Massenmedien spielen Intermediäre eine immer größere Rolle, was neue Herausforderungen für die Medienregulierung mit sich bringt. Durch Social Media verschmilzt Individualkommunikation mit gesellschaftlicher Kommunikation. Algorithmen beeinflussen, welches Wissen und welche Informationen wir bekommen. Medienintermediäre prägen also aktiv unseren Alltag mit, denn wenn wir etwas suchen, möchten wir ein konkretes Ergebnis und keine Auswahl an gesellschaftlich relevanten Aspekten. Unsere Erwartungen an Intermediäre müssen daher immer wieder neu bedacht werden und in eine der digitalen Zeit angepassten Medienpolitik einfließen. Eine Medienpolitik und -regulierung sollte daher stets flexibel angepasst werden. Das fängt schon bei der Bezeichnung an. Medienpolitik definiere die öffentliche, medial vermittelte Kommunikation vor allem über Massenmedien (vgl. Katzenbach 2018, S. 21ff.). Kommunikationspolitik dagegen umfasse Regelungen für die Individualkommunikation (vgl. ebd.). Medienpolitik setze ihren Fokus auf Medienorganisation und Strukturen, Kommunikationspolitik auf die Kommunikation an sich (vgl. ebd.). Mit dem Medienstaatsvertrag ist der Staat einen Schritt in Richtung der Regulierung von Medienintermediäre gegangen. Was allerdings zu kurz kommt, ist der Blick auf die, die über Medien kommunizieren und sie mitgestalten. Nutzer:innen werden nach wie vor nicht in die Medien- und Kommunikationspolitik mit einbezogen. Medienpolitik sollte an diesem Punkt noch einen Schritt weitergedacht werden. Otfried Jarren schlägt dazu vor, einen staatsfernen Kommunikationsrat zu etablieren (vgl. Jarren 2019). Bürger:innen könnten hier als ein Akteur neben viele weiteren an der Ausgestaltung von Normen, Regeln und Verboten beteiligt werden (vgl. ebd.). Das Wichtigste dabei seien aufgeklärte und kompetente Nutzer:innen (vgl. ebd., S. 77). Um aufgeklärt und kompetent zu sein, ist vor allem eins zentral – Medienkompetenz. Eine Beteiligung der Anwender:innen stellt folglich zwei Forderungen: Für eine Beteiligung der Rezipient:innen muss deren Medienkompetenz gestärkt werden. Des Weiteren ist der Staat verpflichtet den rechtlichen Rahmen setzte, um die Selbstorganisation der Nutzer zu fördern.

Was bisher in der Medienpolitik fehlt, sind klare Strukturen, wie neben Politiker:innen andere Akteur:innen einbezogen werden können. Strukturen der Medienpolitik seien im föderalen Deutschland generell recht komplex und unübersichtlich (vgl. Vesting 2016). Das Zusammenspiel aus Bund und Ländern erschwere durch Konstrukte wie das Einstimmigkeitsprinzip die politischen Abstimmungen (vgl. ebd.). Wie es zu Entscheidungen komme, ist für Bürger:innen oft nicht transparent gestaltet (vgl. Böll.Fokus 2020). Die Abstimmung über die Erhöhung des Rundfunkbeitrages im Dezember 2020 hat das noch einmal vor Augen geführt. Dabei betrifft Medienpolitik jeden einzelnen. Vielleicht heute mehr denn je.

Einzelne Versuche Nutzer:innen an Medienpolitik zu beteiligen, gibt es bereits. Der Verein zur Etablierung von Publikumsräten e.V. hat sich so zum Beispiel die Installation von Publikumsräten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zum Ziel gesetzt (vgl. Publikumsrat.de 2021). Sie plädieren für mehr Vielfalt, Partizipation und Transparenz (vgl. ebd.). In einer Media Governance wäre genau das möglich. Was ist jetzt der Unterschied zwischen Medienpolitik und einer Media Governance? Nun hinter Media Governance steht ein einfacher Gedanke: Es solle eine Pluralisierung von Akteur:innen und Plattformen erzeugt werden, um über Regulierungen sowie eine integrative Sicht auf diese und gesellschaftliche Kommunikation zu diskutieren (vgl. Katenzbach 2018, S. 34f.). An der Diskussion und Durchsetzung werden nicht-staatliche, private oder bürgerliche Akteur:innen beteiligt (vgl. Puppis 2010, S. 137ff.). Es gehe also darum gemeinsam verbindliche Regeln für Medienstrukturen, -inhalte und -handlungen zu schaffen und diese in Formen der Selbst- und Ko-Regulierung festzulegen (vgl. Katzenbach 2018, S. 42). Als Selbst- und Ko-Regulierung von Medien habe Governance in Deutschland bereits eine lange Tradition (vgl. Betz & Kübler 2013, S. 34). Beispiele hierfür sind die Rundfunkräte der öffentlich-rechtlichen Sender, der Deutsche Presserat oder die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (vgl. ebd.). Der Medienbereich biete sich grundsätzlich für Governance-Strukturen an, da der Staat bei der Regulierung der Medien durch die Meinungs- und Medienfreiheit eingeschränkt sei (vgl. ebd.).

Generell werde das Konzept der Governance immer dann hervorgeholt, wenn der Staat als Regulierer an seine Grenzen stoße (vgl. ebd., S. 11f.). Denn es schwinge die Hoffnung mit, durch ein Einbeziehen der Zivilbevölkerung die Legitimität und Effektivität von Regulierungen zu steigern (vgl. ebd.). Da der Begriff der Governance bisher nicht präzise zu definieren sei, biete er so eine Chance, das Konzept unvoreingenommen und kreativ umzusetzen (vgl. ebd., S. 10). Werden aber staatliche und nicht-staatliche Regulierung kombiniert, können die Systeme sehr komplex und schwer durchschaubar werden (vgl. Schulz & Held 2007, S. 97f.). Meist fehle es an präzisen Vorgaben, Transparenz und einer konkreten Aufgabentrennung (vgl. ebd.). Was einer neu zu etablierenden Institution nicht passieren sollte, ist komplexer zu werden, als Medienpolitik ohnehin schon ist. Da die Dynamiken einer Governance nicht explizit definiert sind, ist nicht festgelegt, welche Akteur:innen eingebunden werden oder wie Regulierungen zu standen kommen. Bisher sei Medienpolitik und Regulierung in den Händen weniger Politiker:innen, die Perspektive der Rezipient:innen und Konsument:innen sei bislang nicht einbezogen worden (vgl. Jarren 2013, S. 59f.). Der Aufbau eines Kommunikationsrates, wie Jarren ihn fordert, setze eine Beteiligung aller Mitwirkenden voraus, um Normen und Regeln zu etablieren (vgl. Jarren 2019, S. 68). Neben Bürger:innen sollten bei Governance-Strukturen auch Wissenschaftler:innen, Medienschaffende, Medienunternehmen und Wirtschaftsakteur:innen eingebunden werden. Der Staat wird dadurch nur noch zu einem Akteur von vielen. Seine Aufgabe bestehe vorrangig in der Schaffung von Rahmenbedingungen (vgl. ebd., S. 68). Von ihm geht dann nicht mehr, wie bei Government-Strukturen üblich, alle Handlungsmacht aus. Eine ähnliche Idee stammt von Hans Hege, dem ehemaligen Leiter der Medienanstalt Berlin-Brandenburg. Er fordert die Etablierung einer Medienagentur durch die Aufspaltung der Landesmedienanstalten. Die Anstalten sollen ihre Aufgaben der Medienförderung und Medienkompetenz behalten, nur die Regulierung werde ausgelagert (vgl. Hege 2020). Helmut Hartung, der Herausgeber und Chefredakteur von medienpolitik.net, erweitert die Idee Heges noch. Als Medienagentur könnten die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) und die Zentrale der Medienanstalten in Berlin zusammengeschlossen und im Kulturstaatsminister (BKM) angesiedelt werden (vgl. Medientage Mitteldeutschland Podcast 2020). Medienpolitik müsse heute über die Landesgrenzen hinausgedacht werden, denn auch Medienintermediäre hielten sich nicht an Grenzen (vgl. ebd.). Die Landesmedienanstalten können demnach einer Regulierung nicht mehr gerecht werden. Dennoch betraut der Medienstaatsvertrag sie mit neuen Aufgaben zur Überwachung der Intermediären. Eine Aufsplittung der Landesmedienanstalten stellt eine gute Ergänzung der Idee Jarrens dar. Allerdings sollte sie staatsfern etabliert werden. Denn eine staatsunabhängige Regulierungsorganisation mit Governance-Strukturen hätten hier einen besseren Überblick und eine vorteilhaftere Position für politische Diskussion. Ist eine solche Institution in der Bundesregierung angesiedelt, spielen politische Einflüsse, Wahlkampf und Kompetenzstreitigkeiten eine Rolle. Außerdem besteht die Gefahr, dass sich an der Transparenz kaum etwas ändern wird. Unabhängig kann eine solche Institution schneller und besser agieren. Avshalom Ginsoar stellt noch ein Problem der Media Governance dar: Die Verantwortung über Verbote und Regeln liege dann in den Händen von Unternehmen, die vom Staat, der Wirtschaft und vom Markt reguliert werden (vgl. Ginsoar 2013, S. 370f.). Wie kann also vermieden werden, dass Organisationen nur ihre eigenen Interessen vertreten wollen? Denn der Gedanke, dass diese Vertreter:innen in einer solchen Regulierungsinstitution ausschließlich Belange der Allgemeinheit vertreten, bleibt Fiktion. Es muss dafür gesorgt werden, dass Entscheidungen des Rates auch durchgesetzt werden und relevante Auswirkungen haben. Die zentrale Frage lautet also: Wie lässt sich ein Top-Down-Ansatz mit einem Bottom-Up-Ansatz verbinden? Denn in einer Governance sollten Akteur:innen als gleichberechtigte Partner auftreten (vgl. Betz & Kübler 2013, S. 57). Eine neue Institution sollte nicht von hierarchischen Strukturen geprägt sein, sondern von einer Zusammenarbeit auf Basis von Verantwortlichkeit (vgl. ebd.).

Die Legitimität von Medien- und Kommunikationspolitik ist abhängig von der Akzeptanz der Regulierten – der Gesellschaft und der Medienunternehmen. Die Akzeptanz wiederum ist abhängig von der Verantwortung jedes Einzelnen. Legitimität werde, laut Maria Löblich, immer dann relevant, wenn neben dem Staat noch andere Akteur:innen an Medienpolitik beteiligt werden. Für die Wirksamkeit von Regelungen sei sie eine bedeutende Voraussetzung. Gleichzeitig könnten Medien Regulierungen ihre Legitimität jedoch auch absprechen. Neben der Zivilbevölkerung sollten auch Medienunternehmen und -schaffende an einer neuen Medienpolitik beteiligt werden, um eine rechtskräftige und anerkannte Institution zu etablieren. Sie müssen gemeinsam Normen und Regeln innerhalb einer vom Staat geschaffenen Institution erarbeiten, diskutieren und durchsetzen. Nutzer:innen müssen nachvollziehen, wie Gesetze und Regelungen geschaffen werden. Möglich sei dies nur über Kommunikation und öffentliche Debatten. Denn mit neuen Medien kommen immer neue Regulierungsprobleme hinzu, so Löblich. Kommunikation über Medienpolitik und Legitimität sollte also immer als öffentliche Debatte geführt werden, da diese kollektive Entscheidungen beeinflusse. Dort gehe es nicht nur um den Austausch von Argumenten, sondern auch um Geltung und Einfluss. Medienpolitik muss also raus aus den Hinterzimmern. (vgl. Löblich 2017, S. 430ff.)

Befassen sich nur Politiker:innen mit der Medien- und Kommunikationspolitik geben sie vor, was online gesagt und wie dort gehandelt werden darf. Politiker:innen führen Diskurse über für Büger:innen relevante Themen, ohne sie direkt mit einzubeziehen. Nach Michel Foucault ist ein Diskurs eine sprachliche Erzeugung von Realität (vgl. Hall 2018, S. 201). Diskurse seien Filter des Sagbaren, unserer Denk- und Handlungsweisen (vgl. ebd.). Sie legen demnach fest, wie über eine bestimmte Sache geredet werden darf und was nicht gesagt werden darf. Die Art, wie wir über Dinge sprechen, beeinflusst unser Handeln und unsere Wahrnehmung von Realität. Diskurse seien somit eng mit dem Machtbegriff verbunden, denn Macht strukturiere Diskurse (vgl. ebd., S. 203ff.). Macht lege fest, wie Diskurse sich manifestieren und was dadurch sagbar ist (vgl. ebd.). Es ist also relevant eine möglichst große Vielzahl an Meinung und Sichtweisen in einen Diskurs zu integrieren. Diskurse sollten Handlungsempfehlungen ergeben, die alle abholen und eine entsprechende Richtung vorgeben, in die wir uns bewegen. Ein entsprechend etablierter Kommunikationsrat bringt jedoch eine Vielzahl an Herausforderungen mit sich – sowohl positive als auch negative. Nutzer:innen einzubeziehen, kann für Medienunternehmen von Bedeutung sein, da diese sich bisher kaum Gehör verschaffen können. Oft ist dies nur in Form von Beschwerden und Kritik möglich, wie auf dem Onlineportal programmbeschwerde.de. Es müssen allerdings Anreize geschaffen werden, warum Bürger:innen sich in Diskurse einbringen wollen. Der Staat müsse anerkennen, dass Nutzer:innen ein gewisses Interesse haben, sich in einem Kommunikationsrat zu beteiligen (vgl. Brosda & Schulz 2020).

Denn Nutzer:innen sollte ebenfalls entscheiden, welche Regulierungen, Gebote, Regeln oder Verbote in einer digitalen Gesellschaft angemessen sind. Sie sollten mitbestimmen, was richtig und notwendig ist, um Medien und Intermediäre zu regulieren, aber die Meinungsfreiheit nicht einzuschränken. Unsere heutige Medienlandschaft stellt Nutzer:innen vor die Herausforderung, eine Vielzahl verschiedener Medienangebote unterschiedlicher Medienanbietern kritisch einzuordnen. Auf dem Einzelnen lastet somit eine enorme Verantwortung. Jarren fordert durch die Etablierung eines Kommunikationsrates auch die Gestaltung einer gesellschaftlichen Verantwortungskultur (vgl. Jarren 2019). Jedoch diskutiert er nicht, wie diese aussehen oder entstehen könnte. Verantwortung bedeute, für etwas Geschehenes einzustehen oder ist eine Verpflichtung, im Rahmen der Möglichkeiten dafür zu sorgen, dass das Notwendige und Richtige getan wird, ohne großen Schaden entstehen zu lassen (vgl. Duden 2021). Wie können gesellschaftliche Interessen repräsentiert werden, wie werde Transparenz gewährleistet und wie werden Entscheidungen geklärt? (vgl. Haas & Wellner 2007, S. 128). Dem kann nur mit einer entsprechenden Medienkompetenz begegnet werden.

Dafür muss ebenfalls das Unverständnis für Informationen etwas zu zahlen, aus der Welt geschaffen werden. Auch das gehört zu einer Verantwortungskultur. Denn Medienintermediäre stellen zudem das bisherige Geschäftsmodell der Medienunternehmen in Frage. Durch zahlreiche kostenfrei verfügbare Online-Inhalte sinkt die Zahlungsbereitschaft vieler Nutzer:innen. Hier gilt es wieder bewusst zu machen, dass eine vielfältige regionale Berichterstattung die bessere Alternative zu unvollständig recherchierten Online-Inhalten ist. Für diese Rechercheleistung sollte man bereit sein zu zahlen. Sei das in Form von Abos, Preisen pro Artikel oder durch den Rundfunkbeitrag. Kritischer Journalismus trägt einen großen Teil zu einer Meinungsbildung bei. Er liefert Informationen über das politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Geschehen und Entwicklungen. Journalismus ermöglicht eine gesellschaftliche Teilhabe und sichert eine Meinungsvielfalt. Verantwortungskultur bedeute an dieser Stelle auch eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Denn ohne Medienvielfalt ist eine individuelle und öffentliche Meinungs- und Willensbildung nicht möglich. Dafür braucht es einen regionalen und kritischen Journalismus. Eine Verantwortungskultur und eine Regulierungsinstitution zu etablieren, wird allerdings nicht ohne Medienkompetenz funktionieren. Der wichtigste Punkt seien aufgeklärte und kompetente Nutzer:innen (vgl. Jarren 2019, S. 77), denn sonst kann ein gesellschaftspolitischer Diskurs nicht entstehen. Nutzer:innen, die sich jetzt beteiligen würden, besitzen meist schon genügend Medienkompetenzen oder haben ein großes Wissen über Medien. Dabei sollte jeder und jede soll die Möglichkeit bekommen, sich in unserer neuen Medienlandschaft zurechtzufinden. Jeder und jede sollte die Chance bekommen unsere Medienlandschaft mitzugestalten.

Medienkompetenz unterstützt Bürger:innen auch dabei, ihre Position in unserer heutigen Medienlandschaft besser einzuordnen. Durch soziale Medien verändere sich die Rolle der Nutzer:innen hin vom Rezipienten zum Produzenten, denn es komme zu einer Vermischung von Kommunikationsrollen, Interaktions- und Kommunikationsprozessen (vgl. Jarren 2019, S. 65). Jede Änderung an Regeln, Verboten oder Gesetzen betreffen sie direkt. Ein weiterer Grund, Bürger:innen in die Medienpolitik mit einzubeziehen. Sie können sich nun selbst miteinbringen, Beiträge erstellen und Meinungen teilen. Medienintermediäre wirken stark in den Bereich der Individualkommunikation hinein. Die bisherigen Regulierungsmaßnamen des Staates reichen dafür schlichtweg nicht mehr aus. Sie sind zu sehr auf die starren Kontrollen der traditionellen Massenmedien ausgelegt. Der Medienstaatsvertrag sieht ihr einige neue Regelungen vor. Er setzt auf eine Sicherung der Meinungs- und Medienvielfalt auf Plattformen sowie der Transparenz. Diese müssen zum Beispiel offenlegen, wie Algorithmen Beiträge selektieren. Die Kontrolle liegt dann bei den Landesmedienanstalten. Ja, auch das ist wichtig und ein Schritt in die richtige Richtung. Mehr Transparenz ist eine Möglichkeit, Nutzer:innen einen Einblick in die Arbeit von Medienunternehmen sowie die Selektion und Verbreitung von Inhalten und Informationen zu geben. Doch hilft das dabei, algorithmische Auswahlprozesse zu verstehen? Die Regulierung und Kontrolle von Inhalten allein den Plattformen zu überlassen, kann daher auch keine Ideallösung sein. Intermediäre vermitteln die Illusion einer Mitmachkultur, tatsächlich seien Mitgestaltungsmöglichkeiten der Anwender:innen jedoch kaum vorhanden (vgl. Wassmer & Jarren 2015, S. 62). Allerdings müsse man auch betrachten, dass nur ein Bruchteil der Nutzer:innen die Plattformen tatsächlich so aktiv nutzt wie angedacht (vgl. Betz & Kübler 2013, S. 35). Die meisten verwenden soziale Netzwerke eher passiv und konsumierend (vgl. ebd.).

Jarren und Wassmer kommen zu dem Ergebnis, dass AGBs und ANBs auf Plattformen wie YouTube, Twitter, Facebook und Wikipedia eine klare Unterscheidung von Geboten, Verboten, Regeln und Bedienungsinformationen fehle (vgl. ebd., S. 84). Nun ist aber Otfried Jarren jemand, dem man eine gute Medienkompetenz unterstellen kann. Meist werden AGBs jedoch einfach akzeptiert, ohne sie zu lesen, da sonst eine Nutzung der Plattform überhaupt nicht möglich ist. Wenn AGBs nicht gelesen werden, kann erst recht nicht beurteilt werden, ob Verbote und Regeln überarbeitet werden müssen. Hier schieben Plattformen die Verantwortung an den/die Anwender:in ab. Beim Löschen oder Melden von unangemessenen Inhalten oder beim Akzeptieren von Änderungen appellieren Plattformen gerne an die Eigenverantwortung der Nutzer:innen. Die Politik hat allerdings bisher vergessen, die benötigte Medienkompetenzen mit zu bedenken. Medienkompetenz beschränkt sich also nicht nur auf Wissen über Instrumente und Technologien. Vielmehr gehe es auch um die Vermittlung von kritischem Denken, darum Inhalte zu bewerten und zwischen Meinungen und Tatsachen zu unterscheiden (vgl. Biselli 2014; vgl. Landesmedienzentrum Baden-Württemberg 2021). Medienkompetenz sei ein vielseitiger Begriff und werde trotzdem unsere Zukunft massiv mitprägen, denn sie ermögliche allen eine aktive Teilnahme an demokratischen Prozessen (vgl. ebd.). Medien haben sich im Laufe der Zeit verändert und werden sich auch zukünftig weiterverändern. Medienkompetenz ist also dynamisch und muss sich an die vorhandenen Medien anpassen.

Wie wichtig das kritische Hinterfragen von Informationen im Netz geworden ist, zeigt auch die Corona-Pandemie noch einmal deutlich. Fake News und Verschwörungstheorien verbreiten sich über Social Media meist schneller als das Virus selbst. Woran das liegt? Nun, im Gegensatz zu korrekten Nachrichten klingen Falschmeldungen oft spannender und überraschender. Expert:innen vom MIT fanden heraus, dass falsche Nachrichtenmeldungen eine 70 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit hatten geretweetet zu werden (vgl. Kleinman 2018). Die Studie „Corona und Medien“ der Infratest dimap im Auftrag des NDR-Medienmagazins ZAPP zeigt zudem, dass Personen, die Social Media als verlässliche Berichterstattung ansehen ungefähr doppelt so häufig (25 Prozent) offen gegenüber Verschwörungstheorien sind, wie Menschen, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (11 Prozent) oder Printmedien (13 Prozent) als glaubwürdig bewerten (vgl. NDR 2020). Psychologin Pia Lamberty sagt allerdings im Gespräch mit dem NDR, dass gerade Anhänger:innen von Verschwörungstheorien Kritiker:innen wenig Glauben schenken oder diese als naiv abstempeln würden (vgl. Altland et al. 2020). Eine Aufklärung könne sogar mit nüchternen Faktenchecks scheitern, da es für Menschen schwieriger sei, sich eine Verneinung von etwas zu merken (vgl. ebd.). Heißt also: Selbst, wenn jemandem gesagt werde – Nein, das stimmt nicht – bleibt die Verschwörungstheorie stärker im Gedächtnis haften (vgl. ebd.).

Doch nicht nur Fake News und Verschwörungstheorien erhöhen den Bedarf nach kritischem Denken. Wenn Nutzer:innen stärker in die Ausgestaltung der Medienpolitik einbezogen werden sollen, sollten sie darauf sensibilisiert werden, dass Medienintermediäre nicht bloß Einfluss auf die öffentliche Meinungs- und Willensbildung haben, sondern auch auf individuelle Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse (vgl. Jarren 2019, S. 65). Neben „normalen“ Nutzer:innen verbreiten vor allem Influencer:innen ihre eigene Meinung über Intermediäre. YouTuber Rezo erlangte 2019 mit seinem Video „Die Zerstörung der CDU“ bundesweite Aufmerksamkeit. Influencerin Louisa Dellert spricht auf Instagram über Themen wie den CDU-Parteitag, die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung, Catcalling oder Klimaschutz. Louisa Dellert führt zwar ebenfalls Interviews mit Expert:innen oder Politiker:innen und Rezo belegte seine Anschuldigungen mit wissenschaftlichen Quellen, trotzdem vertreten beide auch ihre persönliche Meinung für alle zugänglich. Warum werden diese ganzen Beispiele hier aufgeführt? Nun, es werden ungefiltert die persönliche Meinung anderer Leute aufgenommen und meist nicht einmal hinterfragt. Egal, ob es jetzt um Chemtrails oder Klimaschutz geht. Es werden sich keine Gedanken über Intentionen oder über die Herkunft der Informationen gemacht. Verschwörungstheorien, Fake News, Influencer:innen – Sie alle beeinflussen unsere individuelle Meinungs- und Willensbildung. Jarren geht noch einen Schritt weiter und sagt, dass alle gesellschaftlichen Mitglieder kommunikative Handlungen, Themen, den Meinungstenor und einen Filter des Sagbaren mitbestimmen (vgl. Jarren 2019, S. 69). Nutzer:innen muss es also gelingen, die große Zahl an Meinungsangeboten kritisch einzuordnen und zu hinterfragen. Das geht aber nur mit einer entsprechenden Medienkompetenz. Werden Meinungsbeiträge von Influencer:innen konsumiert, muss hinterfragen werden, wo die Informationen herkommen und unterschieden werden, ob es sich um Fakten oder Meinungen handelt. Denn wie soll über Regulierungen, Normen und Richtlinien für Medienintermediäre mitbestimmen werden, wenn Meinungen und Fakten nicht getrennt werden können?

Nur durch eine gute Medienkompetenz ist in unserer digitalen Öffentlichkeit eine gesellschaftliche Teilhabe möglich. Medienkompetenz ist aber in unserer digitalen Welt eine oft unterschätzte Fähigkeit, die viel stärker gefördert werden sollte. So spricht auch Jarren wie selbstverständlich von kompetenten Nutzer:innen (vgl. Jarren 2019, S. 73). Wie Nutzer:innen diese Fähigkeiten erlangen, schreibt er jedoch nicht. Gerade Algorithmen fordern neue Kompetenzen der Gesellschaft, die es zu erlernen gelte (vgl. Kreißig & Rathgeb 2020, S. 260). Wird ein Kommunikationsrat jetzt etabliert, besteht die Gefahr, dass sich nur die beteiligen, die ohnehin schon ein Interesse an Medienpolitik haben. Wichtig ist es jedoch, alle abzuholen und einzubinden. Medienkompetenz ist bereits eine gesetzlich verankerte Kernkompetenz der Landesmedienanstalten. Der Medienstaatsvertrag spricht den Landesmedienanstalten zusätzlich noch die Regulierung der Intermediären zu. Somit bleibt ihnen weniger Zeit und Mittel für die Medienkompetenz. Bleibt man bei dem Vorschlag Heges und spaltet die Aufgabe der Landesmedienanstalten, könnte sie in ihrem Auftrag der Medienkompetenzen gestärkt werden. Die Kenntnisse und Projekte, die bereits laufen, könnten vertieft und ausgeweitet werden. Am Ende ein Gewinn für beide Seiten.

Die Landesmedienanstalten initiieren bereits medienpädagogische Projekte, erarbeiten Ratgeber für Eltern, Lehrer:innen, Erzieher:innen und beteiligen sich an europaweiten Projekten (vgl. Die Medienanstalten 2021). Die niedersächsische Landesmedienanstalt hat zum Beispiel eine Ziellinie 2025 zur nachhaltigen Entwicklung und Stärkung von Medienkompetenz entwickelt (vgl. Presse- und Informationsdienststelle der Niedersächsischen Landesregierung 2021). Dazu gehören viele groß angelegte Projekte wie die Überarbeitung der Kerncurricula an allgemeinbildenden Schulen (vgl. ebd., S. 24). Oder kleinere Dinge wie Workshops auf Portalen wie politische-medienkompetenz.de. Dort werden alle benötigten Materialien sowie Konzept und Anleitung zum Herunterladen bereitgestellt (vgl. Politische Medienkompetenz 2021). Diese Workshops oder Angebote wie die Flimmo oder klicksafe mögen zwar Schritt in die richtige Richtung seien. Ihr Nachteil ist allerdings, dass sie häufig aktiv in Anspruch genommen werden müssen. Eltern, Lehrer:innen oder Erzieher:innen müssen von diesen Projekten wissen, um sie selbst oder an ihre Kinder oder Schüler:innen weiterzugeben. Angebote für Lehrer:innen oder Erzieher:innen sind oft mehrtägige Qualifikationen oder Fortbildungen. Das bedeutet einen zusätzlichen Zeitaufwand, den nicht jeder bereit ist zu investieren. Sicher ist das ein Anfang aber wird das auf Dauer reichen, um die Medienkompetenz zu erreichen, die Jarren sich vorstellt? Natürlich ist es schon hilfreich, Internetrecherchen oder die Nutzung von WhatsApp und Facebook in den Unterricht mit einzubauen, aber langfristig braucht es dann doch eine interdisziplinäre Medienkompetenz im Schulalltag. Medienkompetenz sollte nicht mehr nur als einzelnes Schulfach gedacht werden, sondern es sollte fächerübergreifend geschaut werden, wie Medien integriert werden können (vgl. Tauber 2020, S. 180). Neben der Nutzung des Smartboards, zähle dazu Fitness-Apps in den Sportunterricht einzubinden (vgl. ebd.). Medienkritik sollte nicht mehr nur über den Wandel des Buches, Veränderung von Sprache oder Vorurteilen gegenüber der „Generation Internet“ behandelt werden. Doch auch hier muss der Staat eingreifen. Um digitale Kompetenzen zu stärken, brauche es eine entsprechende technische Ausstattung der Bildungsstätten (vgl. ebd.). In einigen Schulen gibt es bereits Tablet- oder Laptopklassen. Für eine ausreichende Digitalisierung an Schulen genügt es jedoch nicht, nur eine Klasse pro Jahrgang mit technischen Endgeräten auszustatten. Jeder/Jede Schüler:in brauche ein entsprechendes digitales Endgerät, sei es nun ein Laptop oder ein Tablet (vgl. ebd.).

Die Mediennutzung ist für jüngere Genrationen bereits selbstverständlich. Fragen werden einfach schnell gegoogelt. Das Smartphone mit WhatsApp, Facebook, Instagram und Snapchat gehört zum Alltag dazu. Das kritische Hinterfragen jedoch nicht. Wichtig ist es hier dafür eine Erkenntnis zu schaffen. Medienkompetenzen für jüngere Generation ließen sich leicht in das Kerncurriculum und die Schulbildung integrieren. Dabei sollte nicht auf ein freiwilliges Engagement einzelner Lehrkräfte gesetzt werden. Was es braucht, ist ein verbindliches und einheitliches Konzept über die Landesgrenzen hinweg, welches Medienkompetenz in den Schulalltag integriert. Denn auch eine junge Lehrkraft, die privat soziale Netzwerke nutze, sei nicht zwangsläufig in der Lage, einen guten mediengestützten Unterricht zu gestalten (vgl. Kreißig & Rathgeb 2020, S. 258). Natürlich mag es helfen, sich ebenfalls persönlich damit zu beschäftigen, kritisches Denken und Hinterfragen werde aber so noch lange nicht erlernt (vgl. ebd.). Privater Medienkonsum könne an dieser Stelle eine spezifische Ausbildung nicht ersetzten (vgl. ebd.). Vorstellbar wäre hier dennoch ein eigenes Schulfach, in dem schon junge Nutzer:innen über Themen wie Selbstschutz, Mitgestaltung und Überprüfung des Wahrheitsgehalts geschult werden. Dazu gehört jedoch auch zu verstehen und lernen, wie das Mediensystem Deutschland funktioniert, wie Medienpolitik gestaltet wird sowie journalistisches Basiswissen. Das sind Dinge, die berücksichtigt werden sollten, wenn Schüler:innen später die Medien- und Kommunikationspolitik aktiv mitgestalten wollen.

Jedoch darf dabei niemand außen vorgelassen werden. Auch diejenigen, die nicht mehr zur Schule gehen, im Rentenalter sind, in bildungsfernen Haushalten wohnen oder zum sozialschwächeren Teil der Gesellschaft zählen, dürfen beim Thema Medienkompetenz nicht übergangen werden. Vor der Aufgabe, Medienangebote kritisch einzuordnen, stehen alle Altersgruppen (vgl. Kreißig & Rathgeb 2020, S. 259). Medienkompetenz ermögliche einen Zugang zu objektiven Informationen, Instrumenten zur Bewertung von Quellen und eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben (vgl. ebd.). Allerdings gestaltet es sich hier schwieriger eine große Gruppe zu erreichen. Denn an freiwilligen Kursen werden wahrscheinlich nur die teilnehmen, die ohnehin schon eine gewisse Affinität zum Thema haben. Trotzdem ist ein journalistisches Basiswissen in unserer Mediengesellschaft ein Muss. Das Wissen dazu fällt jedoch nicht vom Himmel, sondern muss gelernt werden. Neben Schulen stehen also auch andere Bildungseinrichtungen unter Zugzwang. Volkshochschulen, Universitäten, Kinder- und Jugendzentren. Vielleicht sogar der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit Angeboten zum Thema Medienkompetenz sowie Medien und Demokratie. Hier könnten sowohl Kooperationen mit Bildungseinrichtungen entstehen, also auch eigene Programmangebote und Formate. Für die Beteiligung an der Medienpolitik ist es wichtig, dass Nutzer:innen verstehen, warum bestimmte Regulierungen und Regeln eingesetzt werden. Medienkompetenz sollte als zentrales und wesentliches Element unserer Gesellschaft wahrgenommen werden (vgl. ebd., S. 260). Sie sei keine nette Zusatzleistung, sondern eine signifikante Fähigkeit in unserer digitalen Gesellschaft (vgl. ebd.). Was es braucht, sei eine strukturierte Kompetenzförderung, die Menschen ihr Leben lang beim Lernen begleite (vgl. ebd.). Denn damit eine Media Governance und ein Kommunikationsrat funktionieren können, müssen Büger:innen dem Bereich ein Interesse entgegenbringen und relevanten Themen Aufmerksamkeit verschaffen.

Die Idee einer zivilgesellschaftlichen Beteiligung an Medien- und Kommunikationspolitik ist grundsätzlich eine relevante und zukunftsträchtige. Nutzer:innen haben durch soziale Netzwerke und Intermediäre viel mehr Möglichkeiten, sich selbst aktiv einzubringen und Medien mitzugestalten. Daher ist es eine logische Konsequenz, sie auch über Regulierungen und Sanktionen mitentscheiden, mitbestimmen und mitdiskutieren zu lassen. Die partizipativen Möglichkeiten bringen gleichzeitig eine große Verantwortung mit sich. Auf diese muss der Staat den/die Nutzer:in vorbereiten. Seine Aufgabe ist es, eine Institution zu schaffen, die ohne staatlichen Einfluss Regulierung der Intermediären und Massenmedien angeht. Otfried Jarren, Hans Hege und Helmut Hartung sind nur einige, die Vorschläge gemacht haben, wie eine solche Institution aussehen könnte. Die Etablierung einer solchen Einrichtung bringt viele Fragen mit sich, deren Diskussion den Rahmen dieses Essays sprengen würde. Das wichtigste hat der Essay jedoch versucht anzureißen. Die Etablierung einer solchen Institution fordert die Akzeptanz und Legitimität durch die Regulierten – sowohl Nutzer:innen als auch Medienunternehmen. Ohne diese erhält eine solche Institution keine Handlungsmacht. Anwender:innen. müssen jedoch auch sehen, welche Verantwortung ihnen in der neuen Medienlandschaft zu kommt und diese annehmen. Gleichzeitig muss eine Medienvielfalt erhalten bleiben, um Meinungsbildung zu ermöglichen. Auch das ist Teil einer gesellschaftlichen Verantwortungskultur. Das funktioniert jedoch nicht ohne eine ausreichende Medienkompetenz. Auch hier ist der Staat gefordert. Medienkompetenz bedeutet in unserer digitalen Gesellschaft die Möglichkeit zur politischen Teilhabe. Um eine Chancengleichheit herzustellen, muss jedoch allen Bürger:innen die Möglichkeit zur Weiterbildung geben werden. Eine Regulierungs- und Beschwerdeinstitution ist nicht von heute auf morgen zu realisieren. Es ist eher als Prozess zu verstehen, der jetzt vom Staat angestoßen werden muss. Das Wichtigste ist zunächst der Aufbau neuer Strukturen zur Förderung der Medienkompetenz. Erst wenn das hinreichend etabliert ist, kann über eine Beteiligung der Bürger:innen an Medien- und Kommunikationspolitik gesprochen werden. Hier darf sich allerdings nicht nur auf Schulen beschränkt werden. Vorrangig liegt diese Aufgabe bei den Landesmedienanstalten. Medienkompetenz zählt bereits zu ihren Kernaufgaben und die gilt es auszuweiten. Für einen gesellschaftspolitischen Diskurs sind aufgeklärte und kompetente Bürger:innen unverzichtbar. Medienkompetenz ist kein Luxusgut, sondern ein essenzieller Baustein unserer Demokratie.

Über die Autorin

Karoline Steinbock studiert Kommunikationsmanagement und fällt dort immer wieder durch nachwirkende Beiträge auf. Ihr Text entstand im Rahmen eines Seminars der KomMa-Professur mit der Zielrichtung, die Zukunft der Medien, die Zukunft des Mediensystems in Deutschland auszuloten. Studierende des Masterstudiengangs Kommunikationsmanagement argumentieren im Ergebnis dieses Seminars sorgfältig und stellen fundierte Überlegungen an: Wie kann ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk gestaltet werden? Welche Möglichkeiten gibt es, Medienzukunft angesichts zunehmender Verschiebungen der Mediennutzung zu denken? Welche Rolle spielen Plattformen?

Literatur zum Essay

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