
Projektleitung:
Prof. Dr. Harald Rau
Projektkoordination:
Christian Raupach
Projektlaufzeit:
2013 – 2015
Methoden:
Beobachtung, Befragung und Experiment
Medienwirkungsforschung im Bereich nicht primär monetärer massenmedialer Produktionen: Medienwirkung ist in Bezug auf Bildungssendungen im Fernsehen als Wissensvermittlung zu verstehen. Effizienz wird hier ungleich stärker an Medienwirkungsfragen gemessen. Erstaunlich: es gibt kaum Untersuchungen, die die Effizienz von Wissensvermittlungen als ökonomische Größen betrachten. Insbesondere deshalb, weil medienübergreifende Wissensformate in den letzten Jahren an ökonomischer Bedeutung gewonnen haben.
Phase 1: Forschungsstand
Für das erste Semester stand die Erarbeitung des Forschungsstands zum Thema im Mittelpunkt. Da es sich beim Thema „Wissensvermittlung“ sowie bei der Darstellungsform „Bildungssendung“ bzw. „Wissenssendung“ um Forschungsfelder handelt, die der Forscher (Prof. Dr. habil. Harald Rau) vor diesem Projekt nicht bearbeitet hat, war zudem davon auszugehen, dass durch die Erarbeitung des Forschungsstandes auch das Thema selbst noch präzisiert werden würde – was tatsächlich geschehen ist, u.a. hinsichtlich der Begriffe Bildung und Wissensvermittlung –; somit war hier von einer längeren Einarbeitungszeit auszugehen.
Phase 2: Empirische Studie zu Wissensvermittlung durch Kinder-Wissenssendungen
Das WiSe 2013/2014 sowie das SoSe 2014 dienten zur Vorbereitung, Durchführung und Auswertung einer empirischen Studie, die anhand konkreter Sendungsbeispiele von Kinderwissenssendungen Wissensvermittlungseffekte erheben wollte. Hierzu wurden im Rahmen eines Feldexperiments (teil-)standardisierte Interviews mit SchülerInnen mehrerer Schulklassen aus der Region Braunschweig/Salzgitter durchgeführt, nachdem diese im Klassenverbund die ausgewählten Sendungsbeispiele gesehen hatten. Die Interviews zielten darauf ab, herauszufinden, ob spezifische Wissens- bzw. Bildungsinhalte bei den SchülerInnen „angekommen“ sind (unterschieden wurde in kurz- und längerfristige Wissenserwerbserfolge), und ob sich bestimmte soziale Randbedingungen als Erfolgsfaktoren ausfindig machen lassen. Eine Publikation der ersten Zwischenergebnisse erfolgte im SoSe 2014 im Rahmen einer anwendungsbezogenen Präsentation vor Eltern und LehrerInnen.
Phase 3: Empirische Studie zu den Effizienzdimensionen „Produzierende“ und „Eltern“
Im WiSe 2014/2015 und SoSe 2015 wurden die beiden Effizienzdimensionen „Produzierende“ und „Eltern“ mithilfe eines qualitativ orientierten Delphi-Prozesses sowie darauffolgenden leitfadenorientierten Interviews untersucht. Ziel war es vornehmlich, das Selbstverständnis der Produzierenden von Kinderwissenssendungen hinsichtlich ihres Einflusses auf den Rezeptionsprozess sowie die Erwartungen von Eltern an Kinderwissenssendungen zu studieren. Aufgrund der großen Menge erhobener Daten ist die geplante abschließende Publikation zum Zeitpunkt der Erstellung des Abschlussberichts noch nicht geschehen.
Die wesentlichen Erkenntnisse im Überblick:
- Die Unterscheidung in Bildung und Erziehung ist ein Phänomen der deutschen Sprache; insbesondere in der englischen Sprache gibt es diese Trennung nicht. Während die Trennung nicht grundsätzlich gegenstandslos ist, erweist sie sich hinsichtlich praktischer Vorgänge jedoch als problematisch, da es keinen Bildungsakt ohne Erziehungsakt gibt, und keinen Erziehungsakt ohne Bildungsakt. Deshalb wurde dieses Forschungsprojekt auch umbenannt; der Begriff „Wissensvermittlung“ ersetzte Bildung bzw. Erziehung. Der Wissensbegriff ist umfangreich genug, und gleichzeitig besser formalisierbar, so dass er sich empirisch besser untersuchen lässt.
- Die Untrennbarkeit von Bildung und Erziehung umschließt ebenso die Untrennbarkeit der Vermittlung von Fakten und Werten. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund politischer Forderungen bedeutsam, die bspw. fordern, weltanschauliche Fragen aus der Faktenvermittlung herauszuhalten. Es handelt sich dabei um logisch unsinnige Forderungen. Scheinbar wertneutrale Faktenvermittlung ist ebenfalls durchsetzt durch sehr viele, unscheinbar oder implizit vermittelte, Werte.
- Die Effizienz von Wissensvermittlung ist nur begrenzt der Input-Seite zuzuschreiben. Vielmehr ist der Wissensaneignungsprozess zwar durch Input stimulierbar, jedoch in hohem Maße konstruktiv/konstruierend. Das antike Bild des Lehrers als Geburtshelfers des Wissens (Platon) trifft auch den heutigen Stand der Forschung noch sehr gut.
- Wissensvermittlung im konstruktivistischen Sinne zielt auf die Anknüpfung neuer Wissensinhalte an bereits vorhandene ab. Problematisch ist aus theoretischer Sicht damit die Frage, ob man sich den Menschen ursprünglich als komplett unwissend vorstellen muss, oder ob bestimmte Wissensinhalte bereits bei der Geburt vorhanden sind. In jedem Fall bestimmt die Frage der Wissensvermittlung die Menschwerdung im eigentlichen Sinne. Erst durch das Aneignen von Wissen wird der Mensch zum Menschen. Aufgrund seiner anthropologischen Instinktarmut wäre er sonst nicht lebensfähig. Somit handelt es sich beim Wissenserwerb – hinsichtlich essentiellen Wissens – um ein äußerst grundlegendes Bedürfnis. Im Sinne eines Fortschrittsgedankens, der davon ausgeht, dass SchülerInnen irgendwann selbst das Wissen ihrer LehrerInnen übersteigen können, erweisen sich modernere Wissenserwerbskonzepte – Systemtheorie, Interaktionismus – als unterlegen im Vergleich zu Begriffen der Tradition des (deutschen) Idealismus (Kant, Rousseau).
- Die dialektische Seite der Wissensvermittlung findet sich in der psychoanalytischen Schule Freuds. Da Wissensvermittlung auch Normen und Werte umfasst, ist sie – obwohl notwendig – gleichzeitig auch Ursache für verinnerlichte soziale Zwänge. Das normative Ziel von Wissensvermittlung im Rahmen einer sich als freiheitlich strukturiert verstehenden Gesellschaft sollte damit sein, diese Zwänge auf das Nötigste zu beschränken bzw. sie sogar durch weitere Wissensvermittlung abzubauen.
- Wissensvermittlung ist dort effizient, wo sie sich, im phänomenologischen Sinn, als sinnhaft für die Rezipierenden erweist. Insofern ist davon auszugehen, dass eine Verortung von Wissensinhalten im alltäglichen Umfeld der Rezipierenden die Effizienz maßgeblich erhöht. Zu ähnlichen Schlussfolgerungen gelangen interaktionistische Theorien.
- Moderne Wissensvermittlungstheorien betonen, dass neben intentionaler auch extentionale Wissensvermittlung stattfindet. Somit ist die Untersuchung der Effizienz intentionaler Wissensvermittlungsakte nur bedingt aussagekräftig.
- Als trennscharfer, und deshalb wissenschaftlich adäquater Medienbegriff, wird für dieses Forschungsprojekt Faulstichs Definition verwendet: Medien sind komplexe, etablierte Vermittlungseinrichtungen, die Kommunikation organisieren und regulieren, sie nach unterschiedlichen Gesetzmäßigkeiten und konkreten Sinnvorgaben beeinflussen und permanenten Veränderung unterliegen, also entstehen, sich verändern und auch wieder verschwinden.
- Wissensvermittlungsmedien haben, wie alle anderen Medien auch, aufgrund ihrer spezifischen Beschaffenheit einen Einfluss auf die vermittelten Botschaften (vgl. McLuhan/Postman).
- Die Eigencharakteristik des Mediums Fernsehen impliziert eine spezifische Rezeptionsweise, die insbesondere hohe Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit verlangt.
- Die scheinbar realistische, unmittelbare Darstellung in visuellen Medien macht es schwieriger, zu den Inhalten eine kritisch-reflexive Haltung einzunehmen.
- Themen mit hohem emotionalem Bezug zu Kindern sorgen für eine effizientere Wissensvermittlung.
- Kinderwissenssendungen verfolgen spezifische Strategien, um Inhalte adäquat in einzelnen Beiträgen darzustellen und damit Wissen zu vermitteln.
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